Alles begann 1996 in Kalifornien. Der Besitzer des Dominus Weingutes im Napa Valley beschloß, mit den Schweizer Architekten Herzog& de Meuron, die heute für so spektakuläre Bauten wie das Olympiastadion 2oo9 in Peking bekannt sind, sein Weingut neu zu denken, zu planen und zu bauen. Heraus kam eine beeindruckende, wegen ihrer Einordnung in die Landschaft fast unsichtbare Architektur in Form eines liegenden Quaders, dessen Außenwände aus in Drahtgitterkäfigen gefassten Basaltsteinen bestehen und atmungsaktiv sind, was gut für das Produkt Wein ist. Die Publikation des Weingutes ging um die Welt und wurde, je nach Sichtweise, als „Strafkolonie“ oder „Tarnkappenweingut“ bezeichnet. Jedenfalls war es das erste Weingut, dass derart Furore machte. Dabei vergaß man, dass Scott Johnson schon 1991 das spektakuläre Weingut Opus One in Oakville, Napa Valley gebaut hatte, das einem Ufo gleicht und wo der Wein hinter schußsicherem Glas lagert.
So markant und dennoch diskret wie die Architektur des 1998 eingeweihten Dominus Weingutes, so funktional die hier neu gefundenen Abläufe von der Traubenanlieferung über die Pressung bis zur Lagerung. Denn Weinbaukunst meint auch bei anspruchsvollen Bauten immer die optimale Organisation des Herstellungsprozesses des Weines.
Weinkeller waren bis zum Dominus Weingut häufig unter der Erde gelegen oder eine Ansammlung von Gehäusen, die an schäbige Industriebauten erinnerten. Höchstens Verkaufs- und Degustationsräume lagen in Herrenhäusern oder Schlössern, doch solche herrschaftlichen Visitenkarten waren eher die Ausnahme.
Das Gesamtkunstwerk einer Verschmelzung von Weinproduktion und Architektur ist das weltweite Resultat einer jungen Generation von Winzern, die neue Techniken der Weinproduktion entwickeln, sich anspruchsvolleren Kunden als früher gegenüber sehen und die dem Wein eine größere mediale Aufmerksamkeit schenken. Für sie ist die Entwicklung „vom Keller zum Kult“ ein logische und der Weintourismus nichts, was sie wie ihre Eltern erschreckt. Warum sollten Zauber und Magie edler Weine von Charakter und Persönlichkeit nicht in ausdrucksstarken Bauten ihr Pendant finden? Die Bauwut, die dieser Erkenntnis folgte, kam vielen lokalen Architekten zugute, vor allem aber internationalen Stararchitekten. Viele kapitalkräftige Winzer suchten nach dem Vorbild des Dominus Weingutes einen weltbekannten Architekten als Garanten der Aufmerksamkeit. Was jahrzehntelang bei Museen erfolgreich war – der Stararchitekt steht für Besuchererfolg – sollte auch bei dieser neuen Architektur funktionieren. Und so war es.
Heute ist eine herausragende Weinarchitektur noch immer nicht die Regel, aber auf dem Vormarsch. Doch so sehr Winzer Architektur als Botschafter ihrer Weine akzeptieren gelernt haben, so sehr wehren sich manche gegen auffallende Bauten, weil sie fürchten, dass ihr flüchtiges Produkt Wein von einer ambitionierten Architektur in den Schatten gestellt werden könnte Doch man kann sich wohl darauf verlassen, dass Winzer, die schlanke Weine produzieren, sich kaum auf protzige Neubauten einlassen.
Von Oesterreich bis Spanien werden inzwischen Reisen angeboten, die eine Degustation edler Tropfen mit dem Besuch aufregender Weinarchitektur verbinden. So hat der spanische Architekt Rafael Moneo 1991 für ein Weingut in Navarra entgegen dem linearen Herstellungsprozesses des Weines, der gewöhnlich zu einer linearen Architektur führt, seine Kellereianlage in ein altes Ensemble mit Wehrturm und Kapelle gebaut. Herausgekommen ist ein beeindruckendes Miteinander aus Alt und Neu. Santiago Calatrava, bekannt für seine High Tech Brücken und Bahnhöfe bekannt, hat 2oo1 mit dem Ysios Weingut in Laguardia einen Bautyp geschaffen, der die Weinbearbeitung wie in einem Zauberberg inszeniert. Im Gegensatz zur Geometrie der Weinberge hat er eine wellenförmige Bauskulptur errichtet, die in ihrem hoch aufragenden Mittelteil einer Kathedrale gleicht. Frank Gehry hat 2oo5 für den Marques de Riscal, 15o km von seinem Museum in Bilbao entfernt, ein Weinhotel gebaut. Der vielfach zerklüftete Bau mit seinen stürzenden Flächen und Dächern ist ein typischer Gehry. Überzeugender als dieses Hotel ist die Bodega von Zaha Hadid in Haro (2oo6). Sie ergänzt ein altes Ensemble um einen spektakulären Verkaufsraum, der als Mischung aus Zelt und Regal konzipiert ist, laut Handelsblatt allerdings wie „eine eingefallene Hefetasche“ wirkt. Mario Botta, der dem Wein eine spirituelle Dimension zuspricht, hat von allen Weingütern das fremdartigste gebaut. Ein abgeschnittener, mit Zypressen bepflanzter Zylinder, in einen Hang gelegt, wird von zwei niedrigeren Querflügeln flankiert. Eine Treppe führt mit hundert Stufen auf das Dach dieser Kathedrale von der Anmutung eines Mayatempels. Seit der Fertigstellung 2oo5 verzeichnet das Weingut Petra bei Suvereto/Italien einen Besucherboom.
„Die Weinwelt ist ein Minenfeld zwischen Göttertrank und Blendwerk“, so der Weinkritiker Stuart Pigott. Das Blendwerk traf vor allem auf Oesterreich zu, wo 1985 von mit Chemikalien versetzte Weine einen Skandal riesigen Ausmasses produzierten. Der Weinexport brach zusammen, die Winzer sahen sich zu einem radikalen Neuanfang gezwungen. Mit sauberen Weinen und ambitionierten Neubauten in weltweit einmaliger Zahl begann ein „oesterreichisches Weinwunder“. Von den ca. 7o Neu-bzw. Anbauten ist Loisium, 2oo3 von Steven Holl in Langenlois, das architektonisch überzeugendste. Die Geometrie des auf Stelzen stehenden Besucherzentrums in Form eines dreigeschossigen weiß-grauen Quaders steht in Kontrast zu den Barockhäusern der Umgebung. Der Bau ist unterirdisch mit 9oo Jahre alten Steinpassagen verbunden, auf denen die Stadt steht.
Auch in Deutschland haben viele Winzer die baukulturelle Identität von Wein und Architektur entdeckt. „Weinkultur braucht Baukultur“ hieß kürzlich ein Wettbewerb des rheinland-pfälzischen Landwirtschaftsministeriums. Er hat gezeigt, dass es für Weinarchitektur heute eine Fülle von Handschriften gibt. Viele der neuen Weingüter könnten auch kleine Museen oder exklusive Hotels sein. Die Domäne Steinberg in Eltville hat sich von Friess & Moster Architekten ein anspruchsvolles Glashaus errichten lassen, in dessen Produktionsbereich Funktion und Ästhetik eine perfekte Symbiose eingehen.
Fast alle Stararchitekten der weltweiten Weingüter sind Pritzkerpreisträger. In Deutschland gibt es nur den 9ojährigen Gottfried Böhm, der bisher diesen Nobelpreis der Architektur bekam. Aber auf den Auftrag zu einem Weingut wartet er bisher vergebens.