Der Auftakt zur Stadt

Ein Neubau in Luxemburg

Grevenmacher mit seinen ungefähr 4400 Einwohnern ist ein kleines, überschaubares Städtchen. Aber seine Lage an der Luxemburger Weinstrasse ist idyllisch, seine Geschichte und die erste Erwähnung des Marktes 1358 zeigt durchaus  Besonderheiten, einige seiner Bauten wie z.B. das historische Rathaus am Marktplatz oder einige schöne Wohnhäuser der Jahrhundertwende sind eindrucksvoll. Der Name Grevenmacher ist alt und deutet auf einen Grafen bzw. einen Verwaltungsbeamten hin, der hier einer Gemeinschaft vorstand und womöglich mit "maceria"= altem Gemäuer zu tun hatte.

Wer allerdings von deutscher Seite den Weg nach Grevenmacher über die Moselbrücke nimmt und dabei auf ca. dreißig Metern die nicht mehr erkennbare Grenze zwischen Luxemburg und Deutschland passiert, der merkt von den positiven Eigenschaften des Städtchens wenig oder nichts. Er sieht es nicht einmal. Was ihm dagegen auffällt, ist ein Stadteingang, der keiner ist, eine willkürliche Mischung aus schäbigen Häusern und undefinierten Straßenverläufen, alles ohne Anspruch und ohne Prägnanz, eine zerrissene Umgebung in des Wortes wahrster Bedeutung. Man mag gar nicht glauben, dass sich das Land Luxemburg seinen Einwohnern und vor allem den Besuchern an dieser Stelle so präsentiert!

Der Eingang in eine Stadt - das war einmal wie das Betrachten einer Visitenkarte. Sie verriet Eigenart und Typisches, das, was die Stadt ausmachte, von anderen unterschied, auf das sie stolz war. Diese Zeiten sind eindeutig überall vorbei; die klar erkennbaren Umrisse einer Stadt oder der typische Stadt-Eingang, wie wir ihn aus dem Mittelalter der europäischen Städte kennen, existieren nicht mehr. Städte und Kommunen sind in den letzten Jährzehnten  allenthalben wie Brei auseinander gelaufen, feste Stadt - Konturen gingen dabei verloren, ein Zustand, der auch in Zukunft nicht aufzuhalten ist. Aber bei einem heute noch so klar definierten und erkennbaren Stadteingang, wie ihn Grevenmacher an dieser Stelle für die aufweist, die über die Moselbrücke kommen, sollten ein anderes Willkommen und eine andere Selbstdarstellung noch möglich sein. Hier liegt eine einmalige Chance, die sich Grevenmacher nicht nehmen lassen sollte.

Der gerade fertig gestellte Neubau der Sparkasse Grevenmacher könnte der stadtbildprägende Anfang für einen veränderten , überzeugenden Ortseingang werden, der architektonische Qualität mit städtebaulicher Ausdruckskraft verbindet und die bisherige Situation hinter sich läßt.

In den 1960iger Jahren stand an diesem Ort der ungewöhnliche, weil kreisrunde Vorgänger des  heutigen Sparkassenneubaus; seine flache, filigrane  Fassadengliederung zusammen mit dem leicht überstehenden Dach zeigte die typische Gestaltsprache der damaligen Zeit. Dieser Bau war ein Solitär ganz eigener Qualität, der in seinen Höhenlinien zwar Bezug zu seiner Nachbarschaft aufnahm,  in Materialien und Gestaltung sonst aber nur seinem eigenen Maßstab verpflichtet war. Der Altstadtplan von Grevenmacher definierte den Bau als "stadtbildprägend" und schrieb sein Kreissegment zum Vorplatz hin als Element auch zukünftiger Bebauung fest.

Doch die Wertschätzung dieser Einordnung half nichts und konnte den Bau nicht retten. Als vor ca. sechs Jahren über den Umbau der Sparkasse bzw. einen Neubau diskutiert wurde, entschied man sich für den völligen Abriß. Man traute dem alten Haus weder eine überzeugende  Verbesserung seiner Funktionalität für das moderne Finanzzentrum einer Bank noch seinen Umbau zu einem energieeffizienten Verwaltungsgebäude zu. Das Haus hatte definitiv ausgedient. Die Sparkasse Grevenmacher zog in einen Container ins Stadtzentrum um, der Altbau an der Rue Matthias Schou wurde nieder gelegt.

Provisorien haben nicht selten ein langes Leben. Dieses dauerte bis zur jetzigen Fertigstellung des Neubaus gute sechs Jahre, in denen immer wieder Änderungen diskutiert und verworfen wurden. Die andauernde Baustelle erhöhte die Attraktivität des Stadteingangs nach Grevenmacher nicht.

Der Sparkassenneubau tritt nun die würdige Nachfolge des verschwundenen Vorgängers an, wirkt jedoch trotz vergleichbarer Kubatur massiver und monumentaler, fast wie eine Art Brückenkopf.
Mit der vorgeschriebenen Rundung wölbt er sich in den Vorplatz hinein, achtet alle städtebaulichen Flucht- und Baulinien und paßt sich in seiner Höhe den Nachbarn an. War der abgerissene Altbau ein kreisrundes Haus, das naturgemäß durch seine exzeptionelle Form in seinen Übergängen zum Umfeld schwierig zu nutzende Resträume mit sich brachte, schließt der heutige Neubau in der rue de Thionville überzeugend an den dortigen Nachbarn an.

Der Wiedererkennungswert des monolithisch wirkenden Neubaus ist groß, ohne dass er jedoch Elemente des Vorgängerbaus zitiert. Die herausfordernde Gestalt ist vergleichbar, aber ganz aus dieser Zeit. Der dreigeschossige, mit Kirchheimer Muschelkalk verkleidete Bau ist klar konturiert und wird rythmisiert durch eine Fassade aus unterschiedlich großen, offenen und geschlossenen Flächen, die sich wie eine einheitliche Haut bis in den Bereich des 45° geneigten Daches hinein entwickeln. Der Begrifff der "fünften Fassade" für ein Dach erhält durch diese gestalterische Maßnahme einen ganz neuen Sinn. Durch die geschickte Verwendung desselben Materiales für Fassade und Dach und die Auflösung der Dachfläche durch ähnliche Fenstereinschnitte wie an der Fassade wirkt der Bau homogen und wie aus einem Guß. Die Gestalter haben so vermieden, dass das Dach wie ein Fremdkörper oder wie ein aufgesetzter Helm wirken könnte.

Der große Unterschied dieses Neubaus zu anderen Bankneubauten in Luxemburg fällt erst beim zweiten oder dritten Blick auf. Es fehlt die Tiefgarage, die ein Kunde, der nicht gesehen werden möchte, normalerweise gezielt mit dem Auto ansteuert, um von dort mit dem Aufzug direkt zu seinem Berater zu gelangen. Der Kunde der Sparkasse Grevenmacher, die die größte Filiale in Luxemburg ist, kommt entweder zu Fuß oder parkt im Straßenraum der Umgebung. Diskretion bedeutet hier nicht, dass man unter allen Umständen unerkannt bleiben will.

Wer durch die Eingangstür, die den Eintritt in die Kassenhalle weitgehend undramatisch inszeniert, das Innere der Sparkasse betritt, kommt wegen normaler Geschäfte, zieht ein Ticket wie in der Apotheke , setzt sich auf die Bank und wartet, bis seine Nummer aufgerufen wird. Allerdings stellt die Eingangstür eine Art Sicherheitsschleuse wie am Flughafen dar, und Kameras überwachen den gesamten Erdgeschoßbereich wie einen Hochsicherheitstrakt. Auf Grund der nur wenige Meter entfernten, unbewachten Grenze jenseits der Brücke fürchtet man Überfälle und Täter, die von hier schnell und mit wenigen Schritten ins nahe "Ausland" flüchten könnten.

Der lichtdurchflutete Kassenraum ist ein ansprechender Raum, in querfurnierter Eiche verkleidet, der Fußboden aus einer hellen Steinfliese. Naturgemäß ist alles Glas in dieser Kassenhalle ein dreifaches Sicherheitsglas, vor allem im glasgedeckten und -umgebenden Kassenbereich. Der Blickfang dieses Raumes ist ein schräger, glasverkleideter Lichtschacht, der durch alle Geschosse reicht und zentrales Tageslicht von oben einfallen läßt. Für diese eigenwillige Lösung war eine Einzelgenehmigung nötig, denn eine Brandschutzmaßnahme darf nur begründet "schräg" sein.

Die Gläser dieses skulptural wirkenden Lichtschachtes, der sich nach oben verjüngt, sind groß und wiegen schwer, mit der Konsequenz, dass die Profile kräftig ausfielen und nicht filigran sein konnten.
Der Lichtschacht erlaubt dem Kunden einen Teileinblick in weitere  Beratungsbüros und Tagungsräume im 1.und 2.Geschoß.
Hier oben ist das kräftige Rot - die corporate identity Farbe der Sparkasse - als Teppich von Vorwerk allgegenwärtig. Ansonsten regiert auch hier das Licht, das in den oberen Geschossen geradezu überfallartig einflutet.

Das 3.Geschoß sollte ursprünglich über einen separaten Aufzug erschlossen und fremd vermietet werden. Das hat der Bauherr  aufgegeben und genießt nun aus dem großzügigen Tagungsraum einen umwerfenden Blick über die Stadt und die Mosel.
Übrigens: überall im Haus, wo möglich, trifft man auf ein Typicum der Handschrift der Architekten: Wände, normalerweise undurchsichtig, sind hier aus Glas und folglich transparent, Türen, häufig aus Glas, sind hier aus Holz und erlauben keinen Einblick.

Die neue Sparkasse ist ein hoch komplexes Gebäude, ein Niedrigenergiehaus, das auch als Werbemaßnahme des Bauherrn interpretiert werden kann. Die aufwendigen Maßnahmen reichen von einer hohen Gebäudedichte und der Dämmung der Gebäudehülle über das Ausnutzen regenerativer Energien wie der Erzeugung von Elektrizität mittels photovoltaischer Anlagen bis hin zu einer sparsamen künstlichen Beleuchtung. Sicher ist dies der energetisch raffinierteste Bau der Stadt.

Der Neubau der Sparkasse ist für den Standort am Auftakt von Grevenmacher eine grosse städtebauliche Chance, wenn seine Qualitäten - eine klare Form und eine disziplinierte Gestaltung - als Anregung verstanden und aufgenommen würden. Die Ankunftsituation an der Moselbrücke könnte sich so entscheidend verbessern und für Bewohner und Besucher zu einem freundlicheren und überzeugenderen Empfang im Ort  führen.