Die Steinkreise von Göbekli Tepe in der Osttürkei nahe Urfa, dem angeblichen Geburtsort Abrahams, sind 7000 Jahre älter als Stonehenge. Damit ist der faszinierende Kultort, dessen Anfänge um 11.000 v. C. liegen, das älteste Heiligtum der Welt. Im Jahre 2018 wurde es zum Unesco Heritage erklärt. Entdeckt hat es der Deutsche Klaus Schmidt, der hier seit 1995 gräbt.
Seit ich Göbekli Tepe 2011 besucht habe und einen ersten Artikel „Lag hier das Paradies?“ darüber schrieb (auf dieser Webseite 2011), hat sich nicht all zu viel getan. Es gibt mehr Besucher als früher, aber die Türkei hat nach wie vor wenig Interesse an dieser Grabung. Zwar ist sie an einer touristischen Vermarktung interessiert, aber in diesem vom Syrienkrieg gezeichneten Kurdenland werden Touristen derzeit nicht unbedingt gern gesehen. Zudem fehlt es allenthalben an Geld.
Einige Steinkreise sind seit 2011 weiter freigelegt worden, viele aber liegen noch unter der Erde und warten auf ihre Entdeckung.
Nach wie vor gibt es zu Göbekli Tepe mehr Fragen als Antworten. Wer waren die Erbauer dieses steinzeitlichen Hügelheiligtums am Übergang von der Jäger- und Sammlergesellschaft zur Sesshaftigkeit des Menschen um ca. 7000 v. C? Wie organisierte eine nicht sesshafte Gesellschaft die damals größte Baustelle der Menschheit? Mindestens 500 Menschen müssen gleichzeitig an den Steinkreisen gebaut haben.Wie wurden sie ernährt, wie waren sie untergebracht?
Siedlungsspuren sind bisher nicht gefunden. Wie schaffte man mit primitivsten Steinwerkzeugen die präzisen Denkmäler, wie transportierte man aus einem nahen Steinbruch die bis zu zehn Tonnen schweren Steinblöcke an ihren Standort? Welchen Sinn und welche Funktion haben die weltweit einzigartigen Monumente, die eher als Skulpturen zu verstehen sind denn als Architektur? Wie sind die Steinkreise mit ihrem Durchmesser von 10 bis 30 m und den darin platzierten, bis zu 6 m hohen Steinen in der Form eines T zu interpretieren? Wie ist der figürliche plastische Schmuck mit der Abbildung von Schlangen, Füchsen, Kranichen und wenigen menschlichen Figuren zu verstehen? Haben sie einen apotropäischen, d. h. abschreckenden Charakter, oder wie sind sie zu lesen?
Göbekli Tepe gibt seine Geheimnisse nicht preis. Vermuten kann man vieles, aber da weltweit keine Vergleichsmöglichkeiten existieren, gibt es keine gesicherten Erkenntnisse.
War der Kult-Ort ein gebauter Treffpunkt für Schamanen? Von Tempeln kann man kaum sprechen, denn Dächer fehlen, so dass es keine geschlossenen Räume gibt. Welche Götter oder Naturmächte wurden an diesem Ort verehrt, der allein auf Grund seiner schieren Größe und dominierenden Lage äußerst wichtig gewesen sein muss? War dies eventuell ein Ort des Totenkultes? Aber Gräber hat man nicht gefunden, allerdings jede Menge menschlicher Knochen.
Wenn die Steinkreise Tempel waren, so sind es mit Abstand die ältesten der Welt. Dies könnte die These des Baugeschichtlers Louis Mumford stützen, wonach der Ursprung von Tempeln älter ist als der von Städten und Siedlungen und nicht umgekehrt, wie allgemein angenommen wird.
Eines der größten Rätsel von Göbekli Tepe ist die Aufgabe des Kultortes um 7500v.C. Die Steinkreise werden nicht weitergebaut, sondern verlassen. Vorher aber werden sie regelrecht bestattet. Man ummauert die Steinkreise und füllt sie mit Sand. Stelen konnten so nicht mehr umkippen, was den herausragenden Zustand der Ausgrabung erklärt. Gewöhnlich verfallen Orte zu Ruinen, wenn sich niemand mehr um sie kümmert. Man muss sie rekonstruieren; hier dagegen ist fast alles in seinem Originalzustand.
Soweit bekannte Tatsachen und unbeantwortete Fragen. Aber es gibt mit einer gewissen Sicherheit dennoch Neuigkeiten aus Göbekli Tepe.
Lange unbeachtet blieben scheinbar unwichtige sog. Reibsteine, von denen es auf der Ausgrabung um die 7.000 gibt. Reibsteine werden für die Zerkleinerung von Fleisch, Obstkernen und Tierfellen gebraucht und weisen identifizierbare mikroskopische Spuren auf. Diese Reibsteine hat sich Laura Dietrich, Prähistorikerin der Orientabteilung des Deutschen Archäologischen Institutes angenommen. Sie weist nach, daß auf den meisten Steinen Getreide zerrieben wurde, aus dem in relativ kurzer Zeit ein sehr nahrhafter Brei hergestellt werden konnte. Er könnte die Hauptnahrung der Arbeiter, die Göbekli Tepe erstellten, gewesen sein. Etwas anderes entdeckte Frau Dietrich ebenfalls: große Gefäße aus Kalkstein mit dicken Wänden, die ein Fassungsvermögen von 165 Litern haben. Zahlreiche Scherben belegen, dass solche Gefäße zahlreich benutzt wurden. Ob sie vor Ort hergestellt oder importiert wurden, lässt sich nicht nachweisen. Praktische Experimente überzeugten Frau Dietrich, dass in diesen Gefäßen Bier mit niedrigem Alkoholgehalt hergestellt und gelagert wurde.
Wir dürfen uns also mit einiger Sicherheit eine Baustelle bzw. einen Kult-Ort vorstellen, wo sich zahlreiche Menschen trafen, die Essen und Getränke in großen Mengen benötigten, sei es, um die schweren Bauarbeiten auszuführen oder aber um kultische Zeremonien begleitet von Essen und Alkohol durchzuführen. Für solche kultischen Gelage gibt es zahlreiche, wenn auch spätere Beispiele in anderen Kulturen.
Frau Dietrich hält es für möglich, dass sich in Göbekli Tepe zahlreiche Menschen zu Totenfeiern zusammen fanden bzw. Feste für indigene Gottheiten gefeiert wurden. Dass dabei Alkohol in Mengen floss, wäre nicht verwunderlich. Der Archäologe Hermann Patziger meint dazu: dass Alkohol „für den Menschen stets eine große Rolle spielte, sich bei bestimmten Anlassen zu berauschen“. Damals wie heute.