Albert Speer ist 76 Jahre alt und noch immer weltweit von China bis Moskau unterwegs. „Eine Woche ohne Flugreise auf Platz 1a der Lufthansa macht mich nervös, “ begründet er seine Umtriebigkeit. Der Frankfurter Städtebauer und Stadtplaner, der lokal denkt, aber global handelt, ist mit seinem Büro AS&P Albert Speer & Partner das einzige deutsche Planungsbüro von internationalem Rang. Natürlich ist er auch Architekt, aber das konkrete Bauen spielt im Vergleich zu der komplexeren Aufgabe Stadt für ihn und sein Büro eindeutig eine sekundäre Rolle.
Im Internet wird der Mann mit dem markanten Kopf der ebenso beherrscht wie ungeduldig-temperamentvoll ist, in einem Porträt „dolce vita“ als „Der Ungeduldige“, der „schelmisch Zurückhaltende“ und „der bis zur Rastlosigkeit Neugierige“ bezeichnet . Gewiss ist er, der angeblich trotz seiner internationalen Arbeit ohne Handy auskommt und dies „Freiheit“ nennt, alles dies und noch mehr: harter Arbeiter, Genießer, Kulturliebhaber, Sportler – Rudern und Schwimmen halten ihn fit. Vor allem aber ist Albert Speer ein Pragmatiker, der Theorie und Praxis leicht miteinander verbindet und der im Vergleich zu anderen arroganten Kollegen seine Ideen nicht als ewige Wahrheiten verkündet und verkauft.
Speer, der als ältestes von sechs Geschwistern in Berchtesgaden aufwuchs und als kleiner Junge Hitler für „so eine Art netter Onkel“ hielt auf dessen
Knien er schaukeln durfte, wird bis heute trotz eigener Verdienste und seines internationalen Bekanntheitsgrades immer noch und immer wieder auf seinen berühmten Vater angesprochen, Albert Speer sen., den Reichsminister für Bewaffnung und Munition im 3. Reich und den Autor monumentaler Germaniaplanungen. Nach Jahrzehnten des Schweigens zu diesem Thema antwortet er inzwischen auf diesbezügliche Fragen, aber knapp und mit Zurückhaltung. Der innere und äußere Abstand zu diesem Vater war ihm immer wichtig. Dennoch muss er sich bei vielen seiner Interviews seltsame Ausführungen wie die zu einer möglichen eigenen Vorliebe für autoritäre Systeme anhören (SZ 30.4.2010).
Schon Speers Großvater war Architekt. Er selbst jedoch machte 1952-55 zunächst eine Schreinerlehre, holte in dieser Zeit am Abendgymnasium das Abitur nach und studierte ab 1955 Architektur in München. Damit fertig arbeitete er von 1960-64 in unterschiedlichen Büros in Deutschland, Schweden und der Türkei, bis er 1964 sein eigenes Büro in Frankfurt gründete und sich neuen Wohnungsquartieren, Flächennutzungsplänen und Altstadtsanierungen in Lübeck, Speyer und Worms widmete. 1968 ergatterte er den ersten stadtplanerischen Auslandsauftrag in Libyen. Kollegen sagen von ihm, dass er immer eine besondere Nase für Aufgaben gehabt habe und immer als erster vor Ort gewesen sei, wo große und wichtige Aufträge zu erwarten waren.
Seit diesem ersten Auslandsauftrag gibt es wenige Länder, wo Albert Speer nicht akquiriert und sein Büro nicht geplant hat. Zwar hat er sich inzwischen von den täglichen Aufgaben befreit – das übernehmen langjährige und bewährte Partner, für deren Auswahl er eine gute Hand hat – aber der Wachstumswahnsinn der weltweiten Megastädte und Überlegungen, wie in städtischen Agglomerationen dennoch Lebensqualität erhalten bzw. geschaffen werden kann, sind nach wie vor seine täglichen Themen.
Seit 2008 leben über 5o % der Weltbevölkerung in großen Städten. Und es werden immer mehr. Allein China hat einen Bedarf an über hundert neuen Millionenstädten. Die Metropolregionen von Tokio, Sao Paulo und Mexiko wachsen so rasant, dass sie bald 4o Millionen Menschen umfassen. Dergleichen gigantische Städte sind weitgehend unregierbar und lassen viele Planer und Verwaltungen verzweifeln. Nicht so Speer. Er glaubt nach wie vor daran, dass Planung auch in großen Dimensionen das Umfeld von Menschen grundsätzlich verbessern helfen kann. Allerdings entlarvt er die meisten sog. nachhaltigen Stadtentwicklungspläne als reine Vortäuschung falscher Tatsachen. Sein Büro legt auch bei Stadtentwicklungen in China Wert auf Aspekte wie Umwelt und Energieeinsparung. Das 2001 in Shanghai gegründete Zweigbüro mit zeitweise über 100 Mitarbeitern – „wir sind jetzt halbe Chinesen“ - nimmt viele Aufträge wahr, obwohl China alles andere als ein Schlaraffenland für Planer und Baumeister ist, weil im Land immer noch Kooperations- und Organisationsstrukturen fehlen. Eine der wohl wichtigsten Aufgaben für das Büro Speer ist die Planung der 12okm2 großen Automobilstadt für 300.000 Einwohner im Rahmen der Industriestadt Changchun.
Nicht alle heutigen Aufgaben Speers sind von solcher Größenordnung. Aber die kleineren Planungsaufträge Anfang der 7oiger Jahre in Nordafrika und den arabischen Ölstaaten – 1973-81 Beratung der algerischen und ab 1977 der saudi-arabischen Regierung – haben Verbindungen geschaffen und den
Namen des Büros bekannt gemacht. Dass 2010 Katar, der „Zwergstaat mit einer der größten Erdgasblasen des Planeten“ , den Zuschlag für die Fußballweltmeisterschaft 2022 bekam, hat nicht zuletzt auch mit den überzeugenden Planungen von AS&P für acht der neun neuen Fußballstadien zu tun, die in Katar für die Spiele errichtet werden sollen. Für solche Megaevents hat sich das Büro in den letzten Jahren zunehmend qualifiziert. So betreute es die Expo 2000 in Hannover und die Expo 2010 in Shanghai.
Albert Speer, seit 1972 Professor an der Uni Kaiserslautern und seit einigen Jahren emeritiert, nimmt auch in Deutschland wie kein anderer Planer Einfluss. Vor zwei Jahren legte er den Masterplan für die Kölner Innenstadt vor, ein gründliches Meisterwerk, das Kölns Probleme offensiv und kreativ angeht. Den größten Einfluss aber hat er wohl auf die Stadt Frankfurt. Er hat am Museumsufer mitgearbeitet, mit dessen Hilfe die Stadt ihr mieses Image als „Mainhattan“ änderte, seit 1979 berät er die Messe Frankfurt und spielt auch bei der Flughafenplanung eine maßgebliche Rolle. Sein Buch „Frankfurt für alle – Handlungsperspektiven für die internationale Bürgerstadt“ formuliert Thesen für eine prosperierende und lebenswerte Stadtgesellschaft, engagiert, nüchtern und wirklichkeitsnah, eine Fibel für Frankfurts Zukunft, wenn die Stadt und ihre Bürger es denn wollen.