Die Schriftstellerin und Philosophin (9.1.1908 – 14.4.1984) Simone de Beauvoir, eine „Tochter aus gutem Hause“, war eine der bekanntesten Intellektuellen Frankreichs. Mit Jean Paul Sartre hatte sie seit 1928 eine lebenslange enge, aber offene Beziehung. Beide gehörten mit Albert Camus zum Kreis der sog. Existenzialisten. Weiter waren Mitglieder Carlo Levi, Picasso, Giacometti, Miro, Jean Genet und Juliette Greco.
Paris und dort das Café de Flora in Saint Germain des Près, wo man sich täglich mit Gleichgesinnten traf, war für die Existentialisten der Lebensmittelpunkt. Hier diskutierte man Proteste, ging zusammen auf die Straße, engagierte sich in tabuisierten Fragen wie lesbische Frauen und Abtreibungen und redete auch über das eigene Werk.
In dieser politisch aufgeladenen Atmosphäre erschien 1949 das bekannteste Buch Simone de Beauvoirs „ Le deuxième sex“, auf Deutsch „Das andere Geschlecht“. Diese brillante Analyse der Geschichte feministischer Emanzipation in den Ländern der westlichen Welt katapultierte das Buch innerhalb kürzester Zeit zur „Bibel des Feminismus“ und machte aus Simone de Beauvoir wegen ihres Mutes und ihrer Offenheit eine weltweit bewunderte Autorin.
Der Inhalt des Buches lässt sich knapp in dem Ausspruch „ Man wird nicht als Frau geboren, man wird es“, zusammenfassen. Für Simone de Beauvoir bedeutete Feminismus, individuell zu leben und kollektiv zu kämpfen. Aber in ihrem Buch belegt sie, dass die Geschichte der Frauen immer von Männern geschrieben worden ist und angebliche Frauenprobleme immer Männerprobleme waren.
Simone de Beauvoir schrieb das Buch nicht als feministische Literatur, sondern als sozial-wissenschaftliche Analyse. „Ich will alles“, definierte sich die Schriftstellerin in ihrem Plädoyer zur Gleichberechtigung und verstand ihr Buch als Gegenentwurf zu dem damaligen traditionellen Frauen – und Mutterbild.
Alice Schwarzer, seit 1972 langjährige Kommentatorin der Werke Beauvoirs, stellte in einem kürzlichen Interview (GA 4.3.2022) auf die Frage ,was junge Frauen heute von de Beauvoir und ihrem Buch lernen könnten, überraschend oberflächlich fest:“ Sie könnten lernen, wie anstrengend die sogenannte Weiblichkeit sein kann, in Kleidung, in Schuhen, in Charme, in diesen ganzen Demuts- und Unterwerfungssignalen“. Darunter versteht sie „Man kann lange Haare haben, ich habe auch keine kurzen. Man muss aber wissen, man signalisiert damit etwas, Ich habe auch selber hohe Absätze getragen- man ist da immer auf der Höhe seines Programms …doch es geht um Grundsätzliches…Wir leben in einer Zeit des Internets, der Influencerinnen … die eine restriktive Körperpolitik vermitteln. Man muss dünn sein, die Optimierung des Körpers…findet wieder auf dem Körper statt“. Sie findet, dass diese Situation für de Beauvoir ein „gefundenes Fressen“ gewesen wäre, die platte Beschreibung Schwarzers aber wohl auch.
Zwar brachte 1949 „Das andere Geschlecht“ wegen seiner Forderung nach freiem Sex das Buch auf den Index, aber an der Aktualität dieses Klassikers hat sich bis heute nichts geändert.
Das Buch zählt neben dem „Kapital“ von Marx, den Büchern von Darwin über die Entstehung der Arten und die Abstammung des Menschen sowie Sigmund Freuds Werk zur Traumdeutung und zur Psychoanalyse zu den wichtigsten, weil grundlegenden Werken der Moderne.
Die Ausstellung dieses Werkes ist weniger Ausstellung als Dokumentation. Im größten Raum, wo in Lesegeschwindigkeit die wichtigsten Kapitel des Buches auf die Wand projiziert werden, könnte man stundenlang sitzen und Simone de Beauvoirs hochintelligente Lektüre studieren. Ansonsten zeigt die Ausstellung einige Bilder zum Existentialismus der 1960er Jahre, Interviews mit Simone de Beauvoir zu weiteren Büchern von ihr und Fakten und Zahlen zum Druck und zur Verbreitung von „Das andere Geschlecht“.
Jeder von uns hat dieses Buch schon einmal in der Hand gehabt und Teile davon oder das ganze Buch gelesen. Es ist eine harte Lektüre.
Aber sie täte uns allen gut.