Alles auf einmal

Die Ausstellung „Die Postmoderne 1967 – 1992“ in der Bundeskunsthalle

„Ich habe noch nie so viele Menschen lachend ihren Kopf schütteln sehen wie in dieser Ausstellung.“ sagte mir einer der Aufseher in der Bonner Bundeskunsthalle, als ich ihn nach den Reaktionen des Publikums fragte. Dass viele Besucher fröhlich wirkten, kann ich bestätigen. Allerdings weiß ich nicht, ob die Besucher vor Vergnügen lächelten oder aus einer gewissen Ratlosigkeit heraus vor so viel Kunterbunt.

Die Ausstellung ist, positiv gesprochen, ein Kaleidoskop dessen, was man in der Architektur, im Design, in der Malerei, der Mode, der Musik, im Film und in der Literatur und  Philosophie mit „postmodern“ bezeichnete. Die gesamte Gesellschaft in all ihren Einzelerscheinungen  war für die Zeit von knapp zwei Jahrzehnten postmodern, also nach modern. Und sie distanzierte sich bunt, vielfältig und phantasievoll bis kitschig von der vorherigen Moderne, die sich selbst durch ein Übermaß an Vorschriften und einen Mangel an Gestaltungsvielfalt erledigt hatte.

Eine Systematik oder Ordnung in der Ausstellung gibt es nicht. Alles wirkt, als habe man eine Wundertüte umgestülpt, aus der alles auf einmal herausgefallen sei, zufällig und wie auf einer Kirmes. „Alles auf einmal“ heißt denn auch folgerichtig das Motto der Show. Damit interpretieren die Ausstellungsmacher das Motiv der Postmoderne „anything goes“- alles ist möglich, neu und auf ihre Art und Weise um.

Die kurze Zeit dieses weltweiten Stils vom Ende der 60er bis Anfang der 90er meinte mit ihrem Motto die Gleichberechtigung aller Gestaltung. Es sollte nicht länger eine bestimmte Richtung oder ein Stil vorgegeben werden, der vorschrieb, was qualitativ das Richtige und Beste sei. Vielmehr sollte alles, was individuell möglich ist, nach denselben Maßstäben beurteilt  werden. Eine romantische Formgebung sollte so gut sein wie eine eine rein technische, eine antike, eine schwülstige oder kitschige. Gut ist, was gefällt, hieß es jetzt. Keine einheitliche Kontrolle nach bestimmten Vorgaben mehr, jeder sollte sich nach seinen eigenen Vorstellungen  verwirklichen können.

Voller Selbstbewusstsein saß man deshalb auf Sofas, die wulstigen Lippen glichen und trank seinen Kaffee oder Tee aus schrägen Kannen von Alessi. Man schaute Filme à la James Bond „Im Angesicht des Todes“ mit der irren Grace Jones und einem ältlichen Roger Moore.

Citroen brachte ein Auto heraus, das eher einem Phantomflugzeug glich als dem hochbeinigen Citroen 2 CV, allgemein „Ente“ genannt, die bis dahin das Lieblingsauto der Jungen war. Der Normalbürger kleidete sich in Jacken und Mänteln mit dicken Schulterpolstern, die bei übereinander getragenen Kleidungsstücken jedem das Aussehen eines Bodybuilders oder Boxers verliehen.

Was für das äußere Design galt, galt erst Recht für verschiedene Subkulturen, die wie Pilze aus dem Boden schossen. Jeder bestimmte, wer oder was er war und wie er lebte. Disco, Punk und Techno-Pop feierten Hochkonjunktur. Jeder suchte eine neue Lebensweise und ließ sie sich nicht verbieten, sondern lebte sie ganz selbstverständlich.

In der Architektur, der Innenraumgestaltung sowie beim Möbeldesign waren die Veränderungen im Vergleich zu der Moderne am augenfälligsten  Das Buch „Learning from Las Vegas““ war die Designbibel der Postmoderne und führte die Fake-Architektur ein. Die vielseitigen Bauten Venedigs dienten der amerikanischen Wüste als Vorbild für neue Hotelbauten. San Marco und der Dogenpalast wurden ohne Skrupel kopiert. Zum Frühstück wurde der Hotelgast in einer Gondel zu seinem Tisch gerudert. Hans Hollein, der Schmuckladenexperte aus Wien, entwarf ein Reisebüro mit Wasserfällen und künstlichen Palmen. Dort konnten die Urlaubssuchenden an entsprechend designten Verkaufsständen ihre Ferien  buchen und sich dabei  schon mal wie am Strand oder im Urwald fühlen.

Der Begriff der Postmoderne  ist nicht genau definiert, er ist uneinheitlich und widersprüchlich. Die Bundeskunsthalle benutzt dafür den englischen Ausdruck „weird“ (seltsam). Der hilft aber auch nicht weiter. In der postmodernen Architektur lassen sich jedoch klare Richtungen erkennen. So ist die Wiederentdeckung klassischer Bauformen ein bevorzugtes Gestaltungsmittel;  Säulen sind häufig,  allerdings meist überdimensioniert, und nicht selten werden sie auf das Dach eines Hauses gesetzt wie eine Fahne. In diesen Zusammenhang gehört der Wolkenkratzer Philip Johnsons, ein langweiliger Turm aus Glas und Stahl mit einem Dachabschluss in luftiger Höhe in Form eines griechischen Tempelgiebels. Dieser Bau überragt  die Ausstellung wie ein Obelisk.

Ein Konglomerat aus antiken Bauteilen, fragmentierten Kolonnaden und Kapitellen kennzeichnet die Piazza d’Italia in New Orleans. Der Architekt Charles Moore hatte sie als Treffpunkt unter freiem Himmel und als Erinnerung an die Heimat für die Italiener in Orleans entworfen. Doch die Zielgruppe konnte mit dem seltsamen Geschmack des Architekten nichts anfangen, so daß die gebaute ironische Erinnerung nie wirklich angenommen wurde und sich als Flop entpuppte. Das wird niemand wundern, der das verrückte Modell in der Ausstellung studiert.

Wie unterschiedlich postmoderne Bauten akzeptiert werden, zeigt der technisch innovative Bau der Swiss Re von Norman Foster  im Londoner Bankenviertel. Er ist viel publiziert, seine penisartige Form wird technisch begründet und  hat ihm von seinen internationalen Bewunderern den Spitznamen „Gurke“ eingebracht.

Die Showrooms der Firma Best in den USA dagegen, die die Ruinenarchitektur des 18. und 19.Jahrhunderts wieder entdeckten, wurden von Anfang an abgelehnt. Bei dem einen Bau scheint die Ziegelwand der Fassade zu bersten, bei einem zweiten sieht die Fassade an mehreren Stellen so aus, als würde sie im nächsten Moment vornüber fallen. Menschen verstehen Architektur aber als Symbol der Festigkeit und Verlässlichkeit, sie fühlen sich von Neubauten mit derartigen Spuren der Vergänglichkeit auf den Arm genommen.

Die Bundeskunsthalle selbst, in der die Ausstellung stattfindet, könnte man als gemäßigt postmodern bezeichnen. Zwar wehrte sich Gustav Peichl,  ihr Erbauer, bei der Fertigstellung 1992 vehement gegen diese Einordnung. Aber der Architekt, der gleichzeitig ein bekannter Karikaturist namens Ironimus war und seine postmodernen Kollegen wegen ihrer übertriebenen Formensprache attackierte, dürfte sich  scheinbar über die Kritik an seiner eigenen Architektur lustig gemacht haben.

Viele postmoderne Bauten sind inzwischen verändert, abgerissen und ersetzt worden. Die Ausstellung fragt am Schluss zu Recht ob unsere Gegenwart noch postmodern ist oder es wieder ist. Was lehrt sie uns für den Umgang mit neuen Medien und Populismus? Der großartige Katalog versucht darauf eine Antwort, kommt aber über Teilantworten nicht hinaus.

Bundeskunsthalle Bonn

29. September 2023 bis 28. Januar 2024