Schon der Gebrauch des Wortes Heimat weckt zwiespältige Gefühle.
Etliche Menschen vermeiden das Wort, weil es ihnen kitschig erscheint oder rechtslastig, bei anderen weckt es positive Assoziationen. Martin Walser stellte 1967 fest: „Heimat, das ist der wohl schönste Name für Zurückgebliebenheit“. Dagegen wehrt sich Bundespräsident Steinmeier mit dem Ausspruch: „Wer sich nach Heimat sehnt, ist nicht von gestern“. Jean Améry, der französische Philosoph, kommt nach existentieller Heimatlosigkeit in deutschen Konzentrationslagern zu dem Schluss: „Man muß Heimat haben, um sie nicht für nötig zu halten“.
Die aktuelle Ausstellung „Heimat. Eine Suche“. widmet sich bis zum 25.9.22 dem vielschichtigen Thema in all seinen teils widersprüchlichen Perspektiven, in knappen Texten und einer hervorragenden Bebilderung.
Die Ausstellung ist klar gegliedert und scheut keine Konfrontation. Zahlreiche Betroffene, die eigene Erfahrung mit Heimatverlust und Heimataneignung gemacht haben, kommen in Videos und Filmen zu Wort und machen das Thema persönlich und lebendig. Besucher können an einer Klarstellung des vielschichtigen Begriffes mitarbeiten, indem sie u.a. an Essengerüchen schnuppern und feststellen: „So kochte Oma“ oder Kärtchen ausfüllen, die auf konkrete Fragen „Wie kann man Heimat mitnehmen“, „Ist Heimat etwas Inneres oder Äußeres“, „wie schafft man Heimat“ und „was macht Heimat aus“ konkrete Antworten erfordern. Das Erstaunliche ist, dass ein bestimmtes Land scheinbar weniger Heimat bedeutet als sich irgendwo wohl zu fühlen, einen Kreis von Freunden zu haben und sich verständigen zu können.
Das Design der Ausstellung lag in den Händen des Architekturbüros Wandel, Lorch, Götze und Wach. Sie entwickelten als Leitidee eine Art Hausgrundriss, bei dem alle Einzelzimmer sich zur Mitte hin öffnen, wo die Besucher wie auf einem Marktplatz zusammentreffen.
So gut die Ausstellung ist, eine feste Bedeutung für diesen wandelbaren Sehnsuchtsbegriff darf man nicht erwarten. Denn Heimat ist ein subjektives Empfinden, dass sich während eines Lebens ständig verändert und für jeden etwas anderes ist.
Die Bandbreite von Bedeutungen reicht von Orten oder Landschaften, wo man geboren wurde oder lange gelebt hat, über Gegenden, wo man dieselbe Sprache wie seine Mitmenschen spricht, sich zugehörig fühlt und nicht in Frage gestellt wird, bis hin zu Umgebungen, in denen man sicher ist. Für einige Menschen ist Heimat dort, wo es ihnen gut geht, also „ubi bene, ibi patria“, für andere dort, wo ihre Zahnbürste steht.
Die Schriftstellerin Juli Zeh nennt es so: „Heimat ist ein Ort, an dem ich weiß, wer ich bin“. Man möchte ergänzen, wo ich mich nicht verstellen muss. Für Daniel Schreiber ist Heimat „ein altmodischer Begriff, ein Knotenpunkt der Nostalgie, voller vorgewaschener Erinnerungen und unerfüllbarer Wünsche“, aber Juli Zeh hält dagegen, dass ein Heimatgefühl nicht unbedingt in der Vergangenheit angesiedelt sein muss, sondern sehr wohl auch ein gelebtes Wohlgefühl in der Gegenwart sein kann.
Die Diskussion von Heimat hat seit einigen Jahren Hochkonjunktur. Insofern trifft das Haus der Geschichte mit dieser Ausstellung einen Nerv. Das Thema ist präsent in Politik und Werbung, es boomt sozusagen in vielfältigen Aspekten. Die Tourismusindustrie benutzt den Begriff „Seelenheimat“ für intakte Orte, wo man die Seele baumeln lassen kann. Lokale Märkte schmücken sich auf Einkaufstaschen mit dem Label „Heimatshoppen“. In der Politik ist Heimat zunehmend ein Kampfbegriff für rechten Patriotismus. Die wachsende Popularität von Heimat erklären Psychologen als eine „Reaktion auf die Uferlosigkeit einer globalisierten Gesellschaft.
Heimat entwickelt derzeit eine starke emotionale und suggestive Kraft. aber sie ist keine Erfindung unserer Zeit. Sie hat eine Vergangenheit. Das Wort selbst stammt aus dem 15. Jahrhundert. Richtig populär wurde der Begriff dann im gesellschaftlichen und politischen Umfeld des deutschen Kaiserreiches um 1871. Damals wurden Heimat und Vaterland gleichgesetzt. Genauso war es bei den Nationalsozialisten in ihrer Blut- und Bodenpolitik.
Die Ausstellung konzentriert sich vor allem auf den Zeitraum von 1945 bis in die Gegenwart und forscht nach Veränderungen des Heimatbegriffes in Deutschland. In der DDR wurde der Heimatbegriff mit Sorgfalt gepflegt, da es galt, den Bürgern eine neue Politik und ein Selbstbewusstsein in einem neugegründeten Staat in einer veränderten Welt zu vermitteln. In der Freude über eine gewaltlose Wiedervereinigung im Jahre 1990 vergessen wir Westdeutschen häufig, dass die DDR Bevölkerung dafür von ihrer gewohnten Heimat Abschied nehmen musste, ein schwerer Schritt, selbst wenn in beiden Teilen Deutschlands dieselbe Sprache gesprochen wurde.
An diesem Punkt stellt sich die Frage, ob sich ein bestimmter Heimatbegriff durch einen neuen ersetzen lässt bzw. ob es nicht verschiedene Heimaten geben kann, in denen ein Mensch lebt und zu Hause ist. Ein konkretes Land als Heimat verliert nach Krieg, Flucht und Ausweisung dann an Bedeutung, wenn Faktoren und Merkmale wie eine gemeinsame Sprache, ein Willkommensein im fremden Land und eigene Entwicklungsmöglichkeiten gegeben sind, die es einem ermöglichen, sich in der neuen Heimat wohl zu fühlen. Diese zweite Heimat muss man lieben lernen, denn diese Liebe lässt sich nicht befehlen, sie muss langsam wachsen.
Die Ausstellung ist da am eindringlichsten wo sie aktuell und politisch ist. Die Opfer der Braunkohlenförderung z. B. verlieren seit Jahrzehnten mitten in Deutschland ihre Heimat. Ihre lebendigen Dörfer werden dem Erdboden gleichgemacht, um Kohle fördern zu können, ihre Identifikation wird zerstört, ohne dass ein Krieg oder Flucht ihnen den Wohnort genommen hat. Die an anderer Stelle für sie neu errichteten Unterkünfte sind keine neue Heimat trotz vielleicht modernerer Häuser und Wohnungen, denn es fehlen Freunde, Nachbarn, Atmosphäre, Tradition und Geschichte sowie hundert andere vertraute Dinge, die Heimat ausmachen.
Deutschlands Bevölkerung besteht zu mehr als 22 Prozent aus Migranten, die in den letzten fünf Jahrzehnten in dieses Land gekommen sind. Es begann mit den ersten sogenannten Gastarbeitern, die im Pensionsalter größtenteils wieder in ihre jeweiligen Länder zurück kehrten. Aber einige blieben, holten ihre Familien nach, Kinder wurden geboren, man begann, sich in Deutschland heimisch zu fühlen. Auch wenn man weitgehend unter sich blieb und kaum Kontakte zu Einheimischen hatte.
Die zahlenmäßig stärkste dieser Gruppen waren Türken, die aus ganz unterschiedlichen Gründen nach Deutschland kamen und heute außerhalb der Türkei die größte Gruppe weltweit bilden. Für viele von ihnen ist dieses Land inzwischen Heimat geworden, wie es die in Deutschland geborene Journalistin Cigdem Toprak sagt: „Für unsere Großeltern und Eltern war es ein fremdes Land, uns ist es mehr als vertraut“. Nach wie vor allerdings fühlen sich viele Türken ausgegrenzt und erleben in ihrer Lebensrealität einen Alltagsrassismus, aber das Erlebnis einer neuen Heimat ist dennoch möglich.
Deutschland als Heimat zu sehen und zu leben ist vor allem für Juden schwer. Aber es gibt sie in Deutschland in zunehmender Zahl. Was nach Ende des zweiten Weltkrieges zunächst unmöglich schien, nämlich dass es nach dem Grauen der Konzentrationslager und der Tötung im Holocaust von über 6 Millionen Juden je wieder jüdisches Leben in Deutschland geben könne, trat ein. Das Land der Täter wurde eine neue Heimat für zahlreiche Juden. Den zunächst wenigen jüdischen Rückkehrern, folgten mit den Jahren immer mehr. Neue Synagogen, jüdische Schulen, Universitäten und jüdische Museen wurden gebaut, es entstand eine neue jüdische Kultur auf deutschem Boden. Aber der sich ausbreitende Hass und die Hetze auf Juden im wiedererwachten Antisemitismus ließ die Idee einer neuen Heimat brüchig werden, viele Juden denken an ein erneutes Verlassen Deutschlands. Kann bei einer permanenten Gefährdung von Sicherheit und bei der ständigen Sorge um neue Gewalt gegen jüdische Bürger und jüdische Einrichtungen Deutschland überhaupt in Zukunft noch Heimat sein?