Es gibt Museen, die Spaß machen, und andere, die nur anstrengend sind. Wenn bei einer Führung die Zeit wie im Flug vergeht und die Geführten auch nach zwei Stunden noch glänzende Augen haben und immer neue Rückfragen stellen, weiß man, daß sie den Museumsbesuch in guter Erinnerung behalten werden und als Bereicherung betrachten.
In dem 2010 fertig gestellten Rautenstrauch - Joest Museum (Architekten: Schneider + Sendelbach), das zusammen mit der Volkshochschule und dem Schnütgenmuseum den Kern des neuen Kunstquartiers am Neumarkt bildet, lassen sich auf Grund seiner großartigen Sammlung und eines wegweisenden Ausstellungskonzeptes zahlreiche interessante Entdeckungsreisen und Führungen machen.
Die von Wilhelm Joest (1852-1897) und Max von Oppenheim (1860- 1946) zusammen getragene Sammlung, die dann von Eugen Rautenstrauch (1842-1900) in einem ersten Museum in Köln ausgestellt wurde, folgt nicht der gängigen Praxis, ethnologische Objekte nach Regionen - hier Borneo, dort Nordamerika- auszustellen. Sie ist vielmehr nach Themen geordnet, z.B.Götter, Interieurs, Türen usw.. Das fordert dem Besucher nicht nur die gewohnte ästhetische Betrachtung der einzelnen Stücke ab, sondern eine Art ständigen Kulturvergleichs. Kommt hinzu, daß die eigene, nicht unproblematische Geschichte der Sammlung auch eine Auseinandersetzung mit der Motivation des Sammelns im 19.Jahrhundert bedeutet und einer seither fundamentalen Entwicklung des Begriffs des „Fremden“. Sowohl Joest als auch von Oppenheim waren überzeugt von der Überlegenheit der europäischen Kultur und befürworteten den damaligen Kolonialismus. Das wird ebenso freimütig und kritisch dargestellt wie die heute gleichberechtigte Beschreibung und Ausstellung unterschiedlichster Kulturen, eben „der Mensch in seinen Welten“.
Alle Teile der Ausstellung folgen den grossen Themen „Die Welt erfassen“ und folgerichtig „Die Welt gestalten“. Als Einleitung dient der prächtig dekorierte Reisspeicher der indonesischen Insel Sulawesi aus dem Jahre 1935. Er ist neben der Wohnhütte einer der ältesten Bautypen früher Gesellschaften. Der Speicher iinmitten des hohen Atriums st das Wahrzeichen des Museums. Als öffentlicher Bau wird der Speicher „Vater“ genannt im Gegensatz zum „Mutter“genannten privaten Wohnhaus.
Derjenige, der durch die Ausstellung führt, kann sich darauf beschränken, den Speicher als aussergewöhnliches Haus vorzustellen. Er kann aber auch sehr viel weiter gehen und darauf verweisen, daß Speicher in frühen Gesellschaften den Reichtum einer Stadt ausmachten und ihr Überleben sicherten. Es ist keineswegs bewiesen, was in diesen Kulturen zuerst da war, der Speicher oder der Tempel, und ob nicht der Wächter des Speichers der Vorläufer des ersten Priesters oder Königs war. Die Bedeutung des Speichers für die Zukunft einer frühen Gesellschaft erforderte eine 24 stündige Bewachung, und wer z.B. im frühen Ägypten dagegen verstiess oder gar einen Speicher angriff, wurde verbrannt. Dies galt als die abschreckendste Strafe überhaupt, weil damit die Unmöglichkeit einherging, jemals ins Jenseits einzugehen.
Als stärkstes verbindendes Element aller Kulturen stellt das Museum die Musik dar. Sie galt als Geschenk der Götter und kannte in der Ausübung keine Hierarchie. Jeder durfte Musik machen; die ersten Knochenflöten sind 35.000 Jahre alt.
In der „verstellte Blick“ beschäftigt man sich mit weltweit verbreiteten Vorurteilen, Stereotypen und Klischees gegenüber dem Anderen und Fremden. Sie gewinnen in Zeiten von Millionen Flüchtlingen leider eine neue Realität, die man schon weitgehend überwunden glaubte.
Es gibt viele Möglichkeiten, ethnographische Objekte wahrzunehmen und zu interpretieren. „Eine Kultur aber ist mehr als die Summe ihrer Objekte“, heißt es im hervorragend gemachten Katalog. Der Sinnzusammenhang eines Objektes ist nie vollständig darzustellen, sondern muß vom Betrachter „erarbeitet“ werden.
Im ersten grossen Saal wird die menschliche Figur als Skulptur dargestellt. Die Fähigkeiten, Gottheiten, Ahnen oder Führer in einem Abbild wiederzugeben, unterscheidet den Menschen vom Tier. In frühen Gesellschaften ist der fast immer unbekannte Künstler nahe am Magier, denn das damalige Bild des Menschen ist ja nicht wie beim Selfie heute ein schneller und beliebiger Akt.
Die ausgestellten Plastiken sind von ganz unterschiedlicher Ästhetik.
So orientiert sich der elegant ausschreitende Buddha aus Thailand (15.Jahrh.) nicht an einem realen physischen Vorbild, während die aus Guatemala stammende Mayaskulptur (662n.C.) eine Art Porträt von Khan AhK darstellt, einem historisch verbürgten Herrscher, der zahlreiche Kriege geführt hat und deswegen berühmt war.
Ein faszinierendes Tanzpaddel des 19.Jahrhunderts von den Osterinseln bildet eine stark stilisierte menschliche Figur ab, die ohne jedes persönliche Merkmal ist. Bei den vorwiegend aus Ozeanien stammenden Skulpturen fehlen alle Details. Sie sind auf das Wesentliche der menschlichen Gestalt reduziert und waren in ihrer Abstraktheit beliebte Vorbilder für die Künstler vom Beginn des 20.Jahrhunderts wie Max Ernst.
Der Übergang zum Themensaal „Wohnen“ wird durch eine Ausstellung von alten Türen inszeniert, die dem Schutz oder -reich dekoriert - der Repräsentation dienen. Türen sind praktisch und im übertragenen Sinne die herausstechendsten Symbole des Übergangs oder Übertritts. Sie teilen die Welt in Innen und Außen, in privat und öffentlich, in diesseits und jenseits. Zusammen mit den eng zu den Türen dazugehörigen Schwellen sind sie die ältesten Metaphern des Übergangs. Wer die Tür hinter sich zumacht, kann tun, was er will, denn „my home is my castle“. Er ist bei sich und sein eigener Herr. In Tempeln und Kirchen gibt es Türen, durch die nur ein Priester oder König gehen darf. Die Tür spielt auch in Einweihungen und Mysterien eine große Rolle. Wer durch eine Tür vom Diesseits ins Jenseits geht, läßt sein altes Ich zurück und erlangt ein anderes, neues. Im Mithraskult wurde bei Einweihungen der Adept in einen Sarg gelegt und über ihm die Tür- der Deckel - zugemacht. Dann öffnete man ihn wieder, und der Eingeweihte entstieg dem Sarg in ein neues Leben und ein neues Bewußtsein. Ornamente, Farben, Skulpturen, Masken und Sonnenräder betonen die Bedeutung der Tür und beschwören die Magie des Übergangs. Bei uns heute ist von dieser überwältigenden Bedeutungsfülle nichts geblieben.
Das Thema „Wohnen“ ist schwer auszustellen, weil es in jeder Gesellschaft eine andere Prägung hat. Wohnen ist ein uraltes Thema und von der Tradition beeinflußt. Mit Möbeln und Gegenständen hat Wohnen an sich wenig zu tun, auch wenn im Museum genau diese für die verschiedenen Gesellschaften eine grosse und typische Rolle spielen. Das Wohnen, wie wir es heute kennen, ist eine späte Erfindung des Biedermeiers vom Anfang des 19. Jahrhunderts. Im Museum werden an vier verschiedenen Beispielen die grundsätzlichen Unterschiede im Wohnen dargestellt. Im arabischen, muslimischen Raum gibt es eine strikte Trennung zwischen Öffentlichkeit und Privatheit, zwischen Mann und Frau. Ein Empfangsraum von Höhergestellten illustriert dies. Eine so rigorose Trennung ist bei den nordamerikanischen Indianern nicht gegeben. In den sog.Tipis, die mit dem Eingang zum Sonnenaufgang stehen, leben Männer und F rauen zusammen, die Frauen links vom Altar an der Rückwand, die Männer rechts. Bei den Tuaregs ist die Zeltarchitektur als sog.dritte Haut des Menschen noch unverfälscht erhalten. Das transportable Heim wird auf dem Rücken von Kamelen von einem Standort zum nächsten gebracht. Man lebt in einem oder mehreren Zelten, je nach Reichtum, die Männer mit den Geräten für die Viehzucht, die Frauen mit Vorräten, Kochutensilien und Wertgegenständen. Die Gesellschaft der Asmat in Westneuguinea unterscheidet nach von Frauen dominierten Wohnhäusern und nach Männerhäusern, in denen sich während des Tages die Männer treffen. Hier wird rituell über das politische, das religiöse und spirituelle Leben eines Stammes diskutiert und entschieden. Am Abend kehrt der Mann wie von der Arbeit in das Wohnhaus seiner Familie zurück.
Getreu dem Motto der Ausstellung „Die Welt gestalten“ zeigt ein grosser Teil der Säle Kleidung als zweite Haut des Menschen und Schmuck. Sowohl Kleidung als auch Schmuck machen Leute. Über Kleidung grenzt der Mensch sich von anderen ab, er identifiziert sich über das, was er trägt. Kleidung verbirgt und enthüllt und unterscheidet sich nach Religion, Ethnie, Politik und Standeszugehörigkeit. Es gibt Kleidung für bestimmte Anlässe z.B.Hochzeit und Muster wie die Karos der Schotten, die ihre Träger wie mit Namen vorstellen. Soldaten tragen Uniformen, Volksstämme ihre Trachten, Würdenträger ihr Habit. Was der englischen Königin ihre Krone ist, ist dem Häuptling der Indianer sein Federschmuck. Kleidung verrät Rang, Abstammung und Reichtum, Schmuck tut Ähnliches. Männer und Frauen waren in früheren Zeiten deutlich unterschiedlich gekleidet, während es heute eine weitgehende Übereinstimmung gibt.
Etwas, das in der Ausstellung unbegreiflicherweise nicht vorkommt, ist die Tätowierung des Körpers. Sie betrifft die erste Haut des Menschen und blickt auf eine Tradition zurück, die älter sein dürfte als Kleidung. Es gibt Tätowierung in allen Kulturen, sie beschwört unterschiedliche Selbstdarstellung, Gruppenzugehörigkeit, Unverwundbarkeit,magische Symbolkraft. Der Ötzi vor 5ooo Jahren war tätowiert, der Yakuzageheimbund in Japan erkannte sich an in die Haut geritzten Zeichen, Häftlinge im KZ erhielten eine Nummer wie Tiere, die man mit einem Brandzeichen ihres Besitzers kennzeichnete. Bis 1880 wurden christliche Mädchen in Bosnien tätowiert, damit sie nicht zum Islam konvertieren konnten. Heute ist die Tätowierungswut eine eher oberflächliche Sache und wechselhaft wie die Mode.
Tod und Jenseits spielen in jeder Gesellschaft eine wichtige Rolle. Das Museum versucht, der Komplexität der Gebräuche und ihren Inhalten zu entsprechen und sie darzustellen. In vielen Gesellschaften ist der Tod heute noch ins Leben integriert. Der tote Körper wird meist schnell bestattet, in Erde, in Höhlen, im Wasser, auf Bäumen oder zerstückelt wie bei den Parsen, den Geiern angeboten. So verschieden wie die Länder, so unterschiedlich ihre Bestattungsriten. In Ägypten wurden Hochgestellte mumifiziert, bei den Etruskern wurden sie in hausähnlichen Gräbern so bestattet, daß die Hinterbliebenen regelmassig mit den Toten eine Mahlzeit einnehmen konnten. Tote in vielen Ländern werden gefürchtet, man macht ihre Gräber ausbruchssicher. Anderswo hatte man Angst vor Dieben, weshalb die Gräber teilweise wie Irrgärten angelegt wurden. Viele Völker gaben ihren hochstehenden Toten Sklaven, Soldaten und Pferde mit ins Grab, damit diese im jenseitigen Leben für den Toten arbeiten konnten. Kannibalen mußten ihre toten Feinde essen, um ins Jenseits eingehen zu können.
Tote leben weiter durch Erinnerung, und manche Gesellschaften kennen jährliche Rituale der Rückschau. Bei uns bewahrt Allerseelen das kollektive Gedächtnis an die Toten.
Ähnlich zahlreich wie die Gebräuche um den Tod sind die Rituale, die jede Gesellschaft kennt. Rituale sind Handlungen von hohem Symbolgehalt, die festen Regeln folgen. Meist sind sie an bestehende Orte gebunden und nicht veränderbar. Die Fülle unterschiedlicher Riten reicht von Einweihungs- über Fruchtbarkeits- bis zu Beschneidungsriten. Eine neue Jahreszeit wird mit einem Ritual begrüßt, eine Krankheit mit einem Ritus ausgetrieben. Masken und Verkleidung spielen dabei eine große Rolle.
Die Religion spielt für den Menschen meist ein wichtige Rolle. Auf diesem Gebiet sind die Inhalte, Gebräuche, Symbole aber so vielfältig, daß das Museum ihre Darstellung noch nicht einmal ansatzweise erbringen kann. Religion prägt das Weltverständnis, aber die Abbildung davon in einem Museum muß zwangsweise lückenhaft bleiben.