Um wie viel einfacher wäre jetzt ein kurzer Abriß über die Qualität alter Architektur vom Barock bis zum Jugendstil. Aber dies sollen allgemeine Gedanken über moderne Architektur am Beispiel von Sportbauten werden. Und das ist schwer nach meiner kürzlichen, fesselnden Lektüre des klugen, aber äußerst pessimistischen Buches „Hybris“ von Meinhard Miegel, der das Bauen in unserer weltweiten Gesellschaft als eine Konstellation aus Exzessen bezeichnet, die zum Himmel schreit. 1
Nach Miegels Meinung ist diese Entwicklung der Tatsache geschuldet, daß eine unersättliche Gesellchaft immer mehr und immer höher hinaus will, und dieses alles sofort, ohne zu warten. Geduld sei keine ausgeprägte Eigenschaft unserer Konsumgesellschaft.
Wer die neuesten Schreckensberichte über die Zerstörung der Skyline Londons liest, die sich noch vor ungefähr zehn Jahren an der Höhe der Kuppel von St.Paul orientierte, während heute über zweihundert neue Hochhäuser ohne Rücksicht hierauf realisiert werden, versteht, was Miegel kritisiert.
Es ist eine Binsenweisheit, daß Architektur eine Gesellschaft in ihrem Entwicklungszustand widerspiegelt und vieles aussagt über ihre Verantwortung, ihre Werte, ihre Ängste und ihre Prioritäten. Wir erfahren täglich , daß und wie sehr wir auf Sensationen, auf Höchstleistungen und aussergewöhnliche Events hin orientiert sind.
Das Spektakuläre hat Hochkonjunktur. Eben auch in der Architektur.
Extravagante Bauten und eine Aufsehen erregende Gestalt, die wie Weltrekorde den Weg in die Nachrichten finden, werden bestaunt und besucht. Extreme Architekturlösungen wie ein phallusähnliches Hochhaus oder „das Wunder von Baku“ - eine spektakuläre Arena, die 2012 mit dem European Song Contest eingeweiht und in weniger als zehn Monaten realisiert wurde 2, sind das Ziel von Besucherströmen.
Bekannte Architekten werden im Zuge dieser Entwicklung auch schon einmal zu Superstars erklärt und ihnen Züge von Superman zugeschrieben.
Dennoch: offensichtlich bestaunt der Mensch diese Entwicklung, läßt sich von ihr auch faszinieren, fühlt sich aber in der Architektur dieser überwältigenden neuen Welt auf Dauer überfordert und nicht wohl. Wenn er wieder zu Hause in seiner eigenen, überschaubaren Welt ist, gibt er sich zufrieden und beginnt nicht etwa, diese jetzt entsprechend umzubauen.
Irgendwie erinnert diese Diskrepanz an die 2oiger Jahre des vorigen Jahrhunderts. Moderne Architekten propagierten damals für die Nutzer neue, „ungeschmückte Sachformen“ (Hermann Muthesius) als Fortschritt, die allerdings erst nach dem 2.Weltkrieg eine weltweite Verbreitung erfuhren. Die Menschen aber liefen Sturm gegen die anonyme Verzichtsarchitektur der Großsiedlungen der 6oiger Jahre und ihr stereotypes Raster.
Eben die menschenverachtende Rationalität solcher Bauten war einer der Gründe für die Hinwendung der Deutschen zu historischer Architektur, ihrer Maßstäblichkeit und ihrer Formenvielfalt. Die Schweizer nennen uns inzwischen „Rekonstruktionsweltmeister“, weil in Deutschland nicht nur der Erhalt und die Pflege alter Architektur leidenschaftlich betrieben wird, sondern auch abgerissene Schlösser und gesprengte Kirchen in so grosser Zahl wieder rekonstruiert werden wie in keinem anderen europäischen Land.
Wie aber muß eine moderne Architektur aussehen, in der der Mensch sich wohl und zu Hause fühlt? Diese Frage müßte eigentlich jeden Architekten umtreiben und Richtschnur seines Handelns sein.
Die Antwort ist so schwer nicht: sie muß großzügig und vielfältig sein, farbig, kleinteilig, atmosphärisch reich, aber nicht schrill.
Ernst Bloch sprach davon, daß „Bauen ein Produktionsversuch menschlicher Heimat“ sei. Diese sperrige Formulierung meint nichts anderes, als daß eine entsprechende Architektur uns bereichert und nicht einengt, daß sie den Menschen fördert, ihm Halt gibt und Spielraum läßt, daß sie selbstverständlich ist und nicht nur ein oberflächliches Versprechen. Wenn ein Bau Heimat sein soll, dann muß er hoffnungsfroh stimmen und Freude machen. Die Identität, die in einem solchen Fall entsteht, bedeutet die Übereinstimmung der Kenntnisse und Werte eines Menschen mit seiner Umgebung.
Der ehemalige französische Kultusminister Francois Mauriac fand für diesen Vorgang einen schönen Vergleich. Er meinte: „Der Bau von Luftschlössern in unserer Welt kostet nichts. Aber ihre Zerstörung ist sehr teuer.“
Unsere Gesellschaft ist viele Gesellschaften: Massengesellschaft, Konsumgesellschaft, Wegwerfgesellschaft, Spaßgesellschaft, Freizeitgesellschaft. Die Bauaufgabe Freizeit ist dabei äußerst komplex und reicht von Hotels über Kinobauten, von Bundesgartenschauen über Fußgängerzonen bis zu Bädern und Sportstätten. Für alle diese Entwurfsaufgaben gelten zwar unterschiedliche ästhetische und funktionale Anforderungen, aber keine Abstriche in Sachen herausragender Architekturqualität.
Der Schweizer Justus Dahinden, ein nicht immer erfolgreicher Architekt in Sachen Freizeit, formulierte es - ziemlich abgehoben, aber trotzdem noch richtig - so: „ Hotels und Feriendörfer z.B. ermöglichen die Freiheit von Arbeit, vom Streß, vom Müssen anstatt Dürfen, vom Leistungsdruck und Verpflichtungen. Freizeit im Hotel und Feriendorf ist aber noch mehr! Es ist die Befreiung von der Langeweile und der Gleichförmigkeit der Dinge, mit denen wir täglich umgehen müssen. Und dazu gehört auch Architektur. Architektur ist eines der wichtigsten Medien, die täglich auf uns einwirken. Es ist ein Medium, dem wir nicht ausweichen können, das wir konsumieren, ob wir wollen oder nicht…Der Gestaltpsychologe vertritt die Meinung, daß Architektur die Empfindungswelt des Menschen in hohem Maße beeinflusst. Er spricht dabei von der Gefühlsansteckung, die sich als intensive Form der Kommunikation zwischen Bauwerk und Mensch einstellt. Architekten sind also die Regisseure, die Formen, Farben, Materialien, Licht und Schatten, Zeichen und Symbole so einsetzen, daß sich eine geplante Einstimmung des Menschen ergibt. Diese Einstimmung betrifft das Gemüt… Für die Architektur bedeutet dies ein sinnliches Milieu zum Anfassen.“ 3
Also überschaubare Einrichtungen statt des Baus riesiger Komplexe, die Berücksichtigung individueller Anforderungen statt massenhaft programmierter Bedürfnisse. Es gilt - so Dahinden - „die Architektur aus der Stummheit von reinen Formen und vom Lärm ostentativer Konstruktionen zu befreien, damit ein Bau wieder zu einem Gestaltungsanlaß werden kann, der nicht nur Fakten und Nutzungsprogramme berücksichtigt…Das Resultat sind dann nicht länger nur Funktionsbehälter und Konstruktionswunder“ 4, sondern eine einnehmende Architektur, die überzeugt und erfreut.
1. Meinhard Miegel, Hybris, Die überforderte Gesellschaft, Berlin, 2013
2. Oliver G.Hamm, Das Wunder von Baku, Berlin, 20133.
3. Ingeborg Flagge, Felizitas Romeiß - Stracke, Freizeitarchitektur, Bd.3 „Architektur in der Demokratie“, Stuttgart 1988, S.21
4. a.a.O. S.23