Im Haus setzen sich die Gegebenheiten des Ortes fort

Zum Tode von Luigi Snozzi

Der Tessiner Architekt, Jahrgang 1932, ist am 29. Dezember 2020 gestorben. Er war, was die meisten seiner Kollegen nicht sind, ein politischer Architekt und wegen seiner konsequenten Gradlinigkeit und seiner jahrzehntelangen Opposition gegen das Spekulantentum im Tessin eine moralische Instanz unter Schweizer Architekten.
Snozzi hat viel geplant, aber relativ wenig gebaut. Das lag nicht zuletzt an seiner unbequemen Offenheit, mit der er sich selbst zahlreiche Chancen zerstörte.

Wenn Snozzi über Architektur sprach, sprach er fast immer über Politik. Und über die Stadt, die er als horizontal und vertikal lesbares, lebendiges Geschichtsbuch verstand, das mehr ist als die Summe von Einzelarchitekturen. „Baust Du ein Haus, einen Weg, ein Quartier,  denke an die Stadt“.

Er sah es als Aufgabe des Architekten an, Spuren zu entdecken, freizulegen und aufzunehmen, Echtes von Tünche zu befreien, die Wirklichkeit der Stadt in Textur und Struktur wieder zu finden und zum Sprechen zu bringen. Der Architekt, der nach dem Wesen der Stadt gräbt, war für ihn gleichzeitig Archäologe. Dabei gibt es „nichts zu erfinden, alles ist wiederzufinden“.

Snozzis lakonische Zitate, die etwas von Sprichwörtern haben und in den 1970er Jahre an der ETH in Zürich entstanden, wurden von ihm wie Bibelzitate oder auch Zauberformeln benutzt: „Jeder Eingriff bedingt eine Zerstörung. Zerstöre mit Verstand“. Jeder Widerspruch dagegen war zwecklos.

Auf den ersten Blick wirken viele von Snozzis provokativen weisen Villen wie z. B. die Casa Snider (1964-66) in ihrer Umgebung wie Fremdkörper, nicht zuletzt weil sie aus Beton, seinem bevorzugten Baumaterial waren. Beim zweiten Hinschauen jedoch integrieren sich seine Bauten in ihre Umgebung. Das liegt daran, dass Snozzi das räumliche Maß der umgebenden Bebauung und ihrer Freiräume aufnimmt, ohne allerdings das moderne Anderssein seiner Architektur aufzugeben. „Architektur ist Leere. Es liegt an dir, sie zu definieren“.
Snozzis Bauten sind Gefäße des Lichtes, nicht des weichen, sondern des scharfen Lichtes des Tessin und seiner exakten und scharfkantigen Schlagschatten. Sie betonen die Symmetrie und die Achsen seiner meist kubisch klaren Bauten. Aus diesen Baukörpern stanzte er Teilflächen aus, ließ Rahmen entstehen, Loggien und Bereiche zwischen innen und außen, in denen das Licht spielt und sich bricht.

Luigi Snozzi hat viele Villen gebaut, aber in erster Linie war er Städtebauer. Stadtvisionen, aber keine Vorstellungen von Idealstadt, bestimmen sein Bauen. Doch die wenigsten städtebaulichen Projekte wurden realisiert, und die, die er gebaut hat wie z. B. Monte Carasso  (1967-2011)sind schwer zu lesen und zu verstehen. Sie lösen nicht selten Ratlosigkeit und Ablehnung aus. Seine Villen dagegen finden allgemeine begeisterte Zustimmung.