Die Bruder Klaus Kapelle in Wachendorf (Eifel) von Peter Zumthor wurde 2007 fertig. Seither ist der Strom der Besucher aus aller Welt nicht abgerissen. Auch fast jeder aus der Umgebung Bonns und Kölns kennt den fremdartigen Bau, der allein auf weitem Feld steht. Die meisten, die ein Interesse an moderner Architektur haben, waren mehrfach dort. In meinem Falle haben mich Freunde und Bekannte über ein Dutzend Mal gedrängt, Ihnen das Kleinod in der Eifel zu zeigen und zu erklären. Ich habe die Kapelle bei Sonne, Regen und Nebel erlebt; je nach Jahreszeit stand sie umgeben von gelben Korn- oder Rapsfeldern da, verhüllt von grauen Regenwolken oder in einer glitzernden weissen Schnee-und Eiswüste. Jedes Mal überraschte der fünfeckige Bau durch seinen anderen Ausdruck.
Nicht einmal ist es vorgekommen, daß ein Besucher von der Kappelle unbeeindruckt geblieben wäre. Die Reaktionen reichten von hingerissen bis zu tief betroffen. Die einen nannten sie ein „Wunder“, die anderen eine „Offenbarung.“ Peter Zumthor, der Schweizer Architekt, der zusätzlich zu dem großartigen Diözesanmuseum „Kolumba“ in Köln nebenher die kleine Kirche in der Eifel realisierte, sprach bei ihrer Einweihung davon, daß das Bauwerk eine „Zumutung“ sei. Was genau er damit meinte, sagte er nicht. Aber unzumutbar meint gewöhnlich etwas, das zu akzeptieren einem schwer fällt, das unbequem ist und einen herausfordert.
Für viele Einwohner von Wachendorf ist der Kapellenbau aus grobem Beton bis heute ein Ärgernis. Sie vergleichen ihn mit einem Bunker.
Und sie schimpfen über den Bauherrn, die reiche Bauernfamilie Scheidtweiler, die den Bau privat finanzierte. Ein Taxifahrer, der mich wegen eines Artikels eine Woche nach der Einweihung zur Kapelle fuhr, die damals noch nicht mit ihrer genauen Adresse im Internet stand, ging mir fast an die Gurgel, als ich sagte, ich hätte die Kapelle zwar noch nicht gesehen, aber glaubte, daß sie großartig sei. Andere, meist Besucher von auswärts, sehen in der „Zumutung“ die Aufforderung, die Bauaufgabe Kapelle neu zu interpretieren.
Das äussere Erscheinungsbild des kleinen Baus, das grau, blockhaft und minimalistisch ist, befremdet viele Menschen zunächst. Kaum jedoch betreten sie das dunkle, zeltartige Innere, sind sie fasziniert und spüren den besonderen Ort und die Einzigartigkeit dieses Raumes.
Wie Peter Zumthor zu dieser beeindruckenden Gestalt gefunden hat, wüßte man gerne.
Eine private Kapelle, die weitab von der Stadt einsam in der Landschaft steht, gebaut von einem der weltbesten zeitgenössischen Architekten, ist in unserer zerrissenen Zeit selten. Das gläubige Ehepaar Scheidtweiler widmete sie dem Schweizer Mystiker Nikolaus von der Flühe, der im 15.Jahrhundert für seine Zeitgenossen ein pragmatischer Ratgeber und Friedensstifter war. Zufällig war Bruder Klaus auch der Lieblingsheilige der Mutter Zumthors und damit für diesen kein Fremder, weil er mit ihm groß geworden war. Diese familiäre Beziehung überzeugte den skeptischen Architekten, der wohl zunächst keine Lust auf diese Bauaufgabe hatte, sich durch die Geduld und Hartnäckigkeit des Eifelbauern Scheidtweiler schließlich aber doch überzeugen ließ.
Der wierderum brachte Verständnis für den zunächst zögerlichen und bauunwilligen Zumthor auf: „Einen wie Zumthor kann man nicht drängen“, Allein der Entscheidungsprozess, ob der Architekt die Kapelle bauen oder nicht bauen würde, dauerte fast zwei Jahre.
Schließlich aber bekamen beide, was sie wollten: der Bauer seine Kapelle als Ausdruck des Dankes für ein erfülltes Leben, der Architekt einen einmaligen Bau, der seinesgleichen weltweit sucht.
112 Fichtenstämme, nach innen geneigt, formen den unregelmässigen Innenraum, der in seiner Form einem Indianerzelt ähnelt. Um dieses Holzzelt herum entstand der Kapellenkörper aus gestampften Beton. Dieser wurde aus Flußkieß, weissem Zement und gelblichem Sand gemischt. Eine Gruppe von engagierten Freunden der Familie Scheidtweiler stampfte den Baukörper in 24 Tagen, jede Schicht 50 cm hoch, bis die Gesamthöhe von 12 m erreicht war. Jeder, der hier mitarbeitete, tat dies kostenlos und verstand seinen Einsatz als praktisches Gebet, wie es die Menschen im Mittelalter beim Bau der Kathedralen getan hatten.
Im Herbst 2006 wurden über eine Zeit von drei Wochen die Fichtenstämme angezündet und kokelten wie in einem Köhlerfeuer vor sich hin. Das langsam brennende Feuer trocknete die Baumstämme aus und löste sie vom Beton ab. Im geschwärzten Beton verblieb der Abdruck der Stämme. Fast ein Jahr lang schwebte der Duft von verbranntem Holz im Inneren der Kapelle.
Der ansonsten schmucklose kleine Raum mit seinem Zinn-Blei-Boden ist nach oben zum Himmel offen. Licht und Regen haben ungehinderten Zugang. Man wünscht sich, allein eine Nacht in dieser magischen Umgebung zu verbringen und von hier die Sterne beobachten zu können. 350 mundgeblasene Glaspfropfen verschliessen die Verbindung der äußeren zur inneren Holzschalung. In dem meist dämmrigen Raum glitzern sie wie Diamanten.
Wer als Besucher die ein wenig modische schwere, dreieckige Eingangstür aufstemmt und den schmalen, leicht abschüssigen Gang in die Kapelle nimmt, hat den Eindruck, als bewege er sich ins Innere der Erde. Plötzliche Stille umfängt einen, wenn man das Glück hat, allein oder nur zu zweit in dem geheimnisvoll wirkenden Raum zu stehen. Jedes Gespräch erlischt, die Umgebung ergreift und konzentriert einen. So etwas wie Andacht stellt sich ein.
Diese Wirkung verspürt jeder, Kinder wie Erwachsene. Wenn man sich dann auf den Weg zum Parkplatz zurück macht, hat man das Gefühl, auf einer Art Wallfahrt gewesen zu sein. Und das Schöne:
alle, die sich auf dem Weg begegnen, grüßen sich, als wollten sie so das Erlebnis Kapelle teilen.