In Bonn sind derzeit drei Ausstellungen zu sehen, deren Titel neugierig machen. Wer sie besucht, lernt eine Menge, kann jedoch mit den Inhalten nicht nur zufrieden sein.
Im Haus der Geschichte ist eine Ausstellung mit dem Spannendes verheißenden Titel „Angst – eine deutsche Gefühlslage“ (bis Mai 2019) zu sehen. Dieser Titel legt nahe, dass die Deutschen besonders ängstlich sind, vor allem weil das Wort Angst wie Kindergarten in die englische Sprache übernommen wurde. Erklärt allerdings wird diese Eigenschaft der Deutschen nicht, außer in der Äußerung, dass zwei Weltkriege für diese Angst verantwortlich seien.
Angst ist ein urmenschliches Gefühl. Die einen fürchten Spinnen, die anderen geschlossene Räume. Solche Ängste sind persönliche, während die Angst vor dem Terrorismus eine kollektive ist wie vor Krieg, Altersarmut und Atombomben.
Das Phänomen der kollektiven Angst verfolgt die Ausstellung anhand von vier Themen: Angst vor Zuwanderung, vor Atomkrieg, vor Umweltzerstörung und vor Überwachung. In vier kleinen, Platzangst produzierenden Räumen, wenn es voll ist, werden diese Themen der letzten vier Jahrzehnte dargestellt und darüber aufgeklärt, welche Ängste sie hervortreten lassen. Es wird gezeigt, welche heftigen Reaktionen folgen und wie die Themen wieder aus der öffentlichen Wahrnehmung verschwinden. Als Illustrationen dienen vornehmlich Titelbilder von Stern und Spiegel, Interviews und Aussprüche von Politikern und reißerische Überschriften aus Artikeln.
Ein Weniger wäre hier mehr gewesen.
Wer schon immer ein aufmerksamer Beobachter aktueller Politik war, kennt die Fotos, die Karikaturen, die Zitate. Er findet wenig neue Interpretationsmöglichkeiten. Für junge Menschen dagegen ist vieles an der Argumentation sicher aufschlussreich.
So werden die wenigsten der Jüngeren wissen, dass Anfang der 1990er Jahre durch Bürgerkriegsflüchtlinge aus Ex-Jugoslawien schon einmal eine massive Steigerung von Migranten nach Westdeutschland stattfand und die Medien von „Überschwemmung“ sprachen. „Das Boot ist voll“ titelte die Presse damals und stachelte so die Angst vor den Fremden an.
Umweltzerstörung hieß in den 1980er Jahren „Waldsterben“. Die Deutschen versetzte das in Panik, aber bis heute streiten Experten darüber, ob die Angst um den Wald nur Hysterie war oder Wirklichkeit.
„Ich habe Angst vor ihrer Politik!, sagte eine Junge zu Bundeskanzler Schmidt 1981 auf dem Evangelischen Kirchentag in Hamburg, weil dieser immer mehr amerikanische Atombomben in Deutschland stationieren wollte. Das Reaktorunglück von Tschernobyl schien dann alle Ängste Wirklichkeit werden zu lassen.
Die Angst vor Überwachung wegen der Volkszählung 1987 und die vor dem „gläsernen Menschen“ entfachte damals einen Sturm öffentlicher Entrüstung, ist heute allerdings kaum noch nachzuvollziehen. Angesichts der heute freimütig im Netz publizierten Datenmengen erscheint die damalige Diskussion naiv.
Wer die Ausstellung verlässt, kann zwei seiner größten Ängste auf Kärtchen in einen Kasten werfen. An der Spitze liegen die Zerstörung der Umwelt und ein extremer Populismus bzw. Nationalismus.
„Der Flaneur“ vom Impressionismus bis zur Gegenwart – bis 13. Januar 2019 im Kunstmuseum ist ein niemals zuvor in einer Kunstausstellung behandeltes Thema. Anhand von 160 imposanten Werken von 68 Künstlern und Künstlerinnen wird das Thema sowohl in den Exponaten als auch in den kurzen Einführungen darüber, was der Flaneur ist und will, exzellent behandelt. Allerdings darf bezweifelt werden, dass alle Bilder mit sich auf den Straßen bewegenden Menschen Flaneure sind.
Die schöne Dame von August Macke „Frau mit Sonnenschirm vor Hutladen“ (1914) dürfte eher eine hutinteressierte Person sein als eine Flaneurin. Diese Bezeichnung scheint auf die stolz dahinschreitende Dame von Lionel Femininer (1922) in ihrem mauven Kleid eher zu passen.
Der Flaneur war ein zunächst literarisch angelegtes Thema, das engstens mit der Stadt verbunden ist. Der Dandy, später dann der Flaneur meinte den beobachtenden Spaziergänger, der ziellos über Plätze und Straßen schweift und alle Eindrücke in sich aufsaugt. Er registriert den Reichtum der Stadt ebenso wie ihre Veränderungen, will aber keinen Einfluss darauf nehmen. In diesem Sinne gibt es den Flaneur heute nicht mehr, denn das langsame Flanieren steht im Gegensatz zu der zweckgerichteten Hektik des modernen Konsumenten.
Der ursprüngliche Flaneur ist fast immer ein Mann; sein weibliches Pendant, das wie er ohne Begleitung die Stadt durchstreift, wird nicht selten für eine Prostituierte gehalten. Erst zu Beginn des 20.Jahrhunderts ändert sich mit Literatinnen wie z. B.Virginia Wolf,
die die männliche Autorität infrage stellte, diese Einschätzung.
Die Ausstellung im Kunstmuseum glänzt mit herausragenden Gemälden. Paris und Berlin sind ihre bevorzugten Städte. Hier entwickelt sich auch seit Mitte der 1930er Jahre die Fotografie als abbildendes Medium der Stadt. Leider fällt der jüngste Teil der Ausstellung in der Qualität völlig ab. Der Versuch einer Definition des heutigen, elektronischen Flaneurs, der im Netz herum stöbert, ist abstrakt vielleicht akzeptabel, entbehrt aber jeder sensuellen Überzeugungskraft. Das Internet lässt sich zwar als virtuellen Boulevard bezeichnen, ist aber armselig und un-inspirierend im Vergleich zu den reichen, gemalten, städtischen Interieurs und ihrer Liebhaber.
Die „Malerfürsten“ in der Bundeskunsthalle (bis 27. Januar 2019) ist eine opulente Ausstellung über sieben Salonmaler in Wien, München und Krakau. Fast alle waren kleinbürgerlicher Herkunft, großartige Maler, die ihr Handwerk verstanden und die sich, ihr Dasein und ihre Arbeit nach dem Vorbild der Reichen und Mächtigen inszenierten. Daher die Bezeichnung Malerfürsten. Die Blütezeit dieser Ausnahmemaler, die die klassizistische Architektur und entsprechende Interieurs und Auftritte liebten, waren die 1970er und 1980ger Jahre des 19. Jahrhunderts. Mit dem Beginn des 1. Weltkrieges erlosch ihr Ruhm und verloren ihre Schöpfungen an Ansehen.
Die Künstler waren Frederic Lord Leighton, Hans Makart, Jan Mateiko, Mihaly von Munkácsy, Franz von Lenbach, Friedrich August von Kaulbach und Franz von Stuck. Sie zählten sich zu Europas High Society und wurden als deren Vertreter geschätzt. Nicht zuletzt eine zahlungskräftige, auf Selbstdarstellung bedachte Klientele, die die Dienste der Maler in Anspruch nahm, wollte es so.
Die Malerfürsten bewegten sich auf Augenhöhe mit diesen Kunden und wie diese inszenierten sie sich meisterhaft in Porträts, in berühmten Sammlungen, in Häusern, die Residenzen und Palästen glichen, die erlesen eingerichtet waren und wie auf einer Theaterbühne den wertvollen Rahmen für die fürstlichen Maler bildeten.
Eine bewundernde Öffentlichkeit verehrte sie in ihren prunkvollen Ateliers, die sie ab und an auch für Laien öffneten. Nicht nur die Reichen standen Schlange, um gemalt zu werden, auch das gemeine Volk betrieb einen Kult mit den Malerfürsten und bewunderte ihre effektvolle Selbstinszenierung.
Die Ausstellung in der Bundeskunsthalle zeigt nicht nur die großformatigen, farbenprächtigen Werke der Malerfürsten, sondern erschließt auch ihr Leben und Wohnen, beschreibt ihre Familien, deren Teilhabe an der fürstlichen Inszenierung und dem eingebildeten Geniekult.
Die Ausstellung ist groß, prunkvoll, in Teilen protzig. In allen Gemälden, Zeichnungen und Fotos zeigt sich die umwerfende Qualität dieser Maler. Soviel Formen- und Farbenreichtum war nie in der Bundeskunsthalle.
Und dennoch bleibt ein Stück Leere zurück. Der Beschauer fühlt sich zugeschüttet mit Luxus und Prachtentfaltung. Irgendwann aber stellt er fest, dass die imponierenden Gemälde und Architekturen ihn überfordern und keinen Raum lassen zur eigenen Sicht und Interpretation.