Wer an einem seiner freien Tage von der Radonkur im Stollen von Bad Gastein ein wenig urbanes Flair im Städtchen schnuppern will, ist beim ersten Besuch entsetzt und ungläubig und kehrt nach dem zweiten nicht wieder zurück.
Egal ob es regnet, schneit oder ob die Sonne scheint, das Zentrum des Ortes gleicht einer Geisterstadt: kein Mensch auf der Straße, die Bürgersteige hoch geklappt, nirgendwo ein Café, kein Friseur, keine Läden, keine Restaurants. Nur „verwundete Häuser“ wie nach einem Straßenkampf, heruntergekommene Fassaden, eine dumpfe Atmosphäre von Moder und Zerfall. Wer kam nur auf den Einfall, diese verlassene Öde das „Monte Carlo in den Alpen“ zu nennen? Julia Stelzner sprach gar von dem „Monaco der Alpen“, das zum „Detroit“ mutiert sei.
Ob nun der Vergleich mit Monte Carlo oder Monaco gesucht wird, was dort hippes Milieu ist, mit prallem Leben und gut betuchten Besuchern,
ist in Bad Gasten Leerstand und Fassade. Wer auf der verzweifelten Suche nach einem Lebenszeichen durch die engen, steilen Strassen irrt, wähnt sich in den Kulissen eines Filmdrehs, den man vergessen hat, fertig zu stellen.
Der tosende Wasserfall, das laute Herz der ca. 5000 Einwohner grossen Stadt, die alle am Stadtrand wohnen, hat lange keine Bewunderer oder Besucher mehr gesehen. Die prachtvollen Hotelburgen vornehmlich der Jahrhundertwende, in denen einst ein betuchtes Publikum badete und mehrmals im Jahr Urlaub machte, stehen fast alle leer: das Hotel Austria (1898 erbaut), das Hotel Straubinger (1840), das Grand Hotel de l’Europe (1906), einstmals mit 10 Geschossen eines der kühnsten Häuser Österreichs, das Badeschloss am Wasserfall (1794), in dem Kaiser Wilhelm I im radonhaltigen Thermalwasser kurte. Überall Leerstand.
Von dem einstmals mondänen Kurort, der lange Zeit eine extravagante Bühne für den Adel, die Bankiers und andere gehobene Schichten darstellte, ist buchstäblich nichts geblieben. Doch „die Kulisse hat ihre Protagonisten überdauert“, so Julia Setlzner. Und diese Kulisse bröckelt immer schneller.
Sind die denkmalgeschützten Fassaden bis auf einige kaputte Fenster soweit in Ordnung, daß man den Prunk der ehemaligen Prachtbauten noch nachvollziehen kann, so ist der Niedergang hinter den Häuserfronten katastrophal. Überall Schutt, Müll, durchgebrochene Decken, durchfeuchtete Wände und ein Geruch nach Fäulnis und Verfall. Besonders im Badeschloß, dessen Besuch geradezu gefährlich ist.
Die wenigen noch funktionierenden Hotels – das Miramonte, das Regina, das Haus Hirt – können die Erinnerung an den Glanz vergangener Tage allein nicht glaubhaft stemmen. Ihre Betreiber bzw. Besitzer scheinen aus nostalgischen Gründen noch oder wieder in Bad Gastein zu sein. Sie haben schon als Kinder mit ihren Eltern hier Urlaub gemacht und die damalige mondäne Badegesellschaft bewundert. Aber ihr Enthusiasmus und ihr Engagement reichen nicht, um dem toten Bad Gastein neues Leben einzuhauchen . Auch ihre Hoffnung, daß die Kreativbranche das Potential des verkommenen Ortes entdecken und ihn wieder wach küssen könnte, ist bisher über einige Initiativen nicht hinaus gekommen. Architekten und Fotografen mangelt es gewöhnlich nicht an Ideen, aber Wunder fallen auch ihnen schwer.
Und ein Wunder braucht Bad Gastein, wenn man früheres Renommee zurück gewinnen will. Mit Kunstinitiativen allein ist das nicht zu machen, sondern nur mit einer grundsätzlichen Planung und viel Geld. Wenn Bad Gasten beides nicht hat und kann, muß es mit Investoren zusammen arbeiten. 2003 kaufte der inzwischen verstorbene Wiener Immobilienunternehmer Franz Duval die leer stehenden Hotels für wenig Geld. Man hoffte, er würde sie renovieren, sanieren, umbauen. Aber auf Jahre geschah nichts, und die Stadt scheint von konkreten Plänen auch nichts zu wissen. Philippe Duval, dem Erben, fällt auch nichts ein, was er mit den maroden Großhotels anfangen könnte.
Eigentlich hilft in solcher Situation nur eines: ein veritabler internationaler Stararchitekt muß sich für das Projekt Zukunft Bad Gastein stark machen, Pläne entwickeln und Verbündete suchen. Die bisherigen Ideen wie Gemüsegärten auf den Dächern oder Implantate von Häusern auf die entkernten Hotels stellen, sind lächerliche Einfälle ohne ideelles Ansteckungspotential. Hat schon einmal jemand daran gedacht, nachdem der Herrscher von Saudi Arabien vor wenigen Tagen die Cote d’Azur mit tausend Begleitern verlassen hat, weil die Bevölkerung gegen seine Privilegien protestiert hatte, dem König Bad Gastein anzubieten?
Erstens sind die Herrscher aus dem Morgenland ältere Menschen, die Kuren gebrauchen können, zweitens ist der Ort groß genug für noch so viele Begleiter, die Instandsetzung der kaputten Prachtbauten könnte in kürzester Zeit erfolgen, die Sicherheitssituation ist durch konsequente Absperrung leicht in den Griff zu kriegen.
Die Redakteurin vom Alpen Online Magazin „Munich and the mountains“ Nadin Brendel formulierte einmal: „Hier ist alles sehr visionär. Als hätte man zu lange im Radon gebadet.“ Es ist egal, ob das ironisch oder nicht gemeint war. Anpacken muß man’s.