Wohnen – die wichtigste Aufgabe des Architekten

Ein Interview zwischen Ursula und René Witry mit Ingeborg Flagge

Was bedeutet für Sie die Ausführung Heideggers, dass Wohnen so etwas wie Bleiben heißt?

RW: „Bleiben“ und „bauen“ stammen etymologisch von dem althochdeutschen Wort „buan“ ab. Sie meinen also ursprünglich dasselbe. In dem Schlusssatz seiner Darmstädter Rede aus dem Jahre 1951 zum Thema „Bauen Wohnen Denken“ , die für uns heute umständlich zu lesen ist, formuliert Heidegger den schönen Gedanken, dass wir erst dann, wenn wir imstande sind zu wohnen, auch bauen können. Diese Behauptung regt zum Nachdenken über Sinn und Zweck des Bauens an. Ich verstehe Heidegger so, dass der Mensch als Individuum in diese Welt quasi hinein geworfen ist; er muss sich seines begrenzten Aufenthaltes darin bewusst werden. Dazu ist er in das „Geviert“ von Erde, Himmel (Sonne, Mond, Gestirne und – durch sie bedingt – Licht, Dunkel und Klima), Göttlichen und Sterblichen  eingebunden. Das „Bleiben“ und damit das Bauen und Wohnen erhalten durch diese Betrachtungsweise eine zutiefst existentielle Bedeutung. Daraus folgt für Architekten die Verantwortung, diesem existentiellen Bedürfnis gerecht zu werden.

Wie erklären Sie den Gegensatz bei Vilem Flusser, dass der Mensch in seinem Dasein „ein zwar wohnendes, aber nicht beheimatetes Wesen“ ist?

UW:   RW… Bleiben ist materiell mit einem Ort verbunden. In diesem Sinne meint bei Heidegger das Wohnen  „an einem Ort bleiben, sich einrichten, sesshaft werden, Beziehungen zu Menschen vertiefen“.  Es drängt sich einem dabei das typische Bild vom Wohnen im heutigen Einfamilienhaus auf, mit Vorgarten, sauber gestutztem Rasen und dem Jägerzaun.
Im Vergleich mit Tieren ist Wohnen allein dem Menschen eigen und kann in dem Sinne auch „bei sich sein“ bedeuten. Daher kann ein Mensch laut Vilem Flusser auch ohne Ort ein wohnendes Wesen sein. Flusser erklärt es an einem Lebensbeispiel. Es ist eine Katastrophe, wenn man die Heimat verliert. Das wird so lange so empfunden, bis man erkennt, dass man als wohnender Mensch überall beheimatet sein kann, und zwar im Sinne des „bei sich sein“.
Hier setzt für mich die Architektur an. Sie schafft eine Öffentlichkeit im Städtebau und in der Wohnung oder dem Haus einen privaten Raum zum Leben. Diesen Raum würde ich als Zelle betrachten, die sich jeder Einzelne individuell einrichten kann. Und wenn er weg geht, bleibt die Zelle für die neue Nutzung durch eine andere Person zurück.

RW: In diesem Sinn stellt das Heideggersche Bleiben keinen Gegensatz zu Flussers beheimateten Wesen dar. Denn das Dasein ist zuerst einmal eine prinzipiell existentielle Frage, eine Heimat in der Ausgewogenheit des „Gevierts“ und die Akzeptanz des befristeten Aufenthaltes auf Erden.

Architektur ist die dritte Haut des Menschen. Was bedeutet das für die Verantwortung des Architekten im Bauen?

UW: Dritte Haut bedeutet für uns in erster Linie eine Schutzhülle, Schutz vor allen Widrigkeiten des Wetters und der Umwelt zu bieten, aber auch Schutz im Sinne von Privatheit und Privatsphäre. In diesem Sinne muss der Raum, den ich als Architekt schaffe, solchen Anforderungen gerecht werden, dennoch aber dem Menschen die Möglichkeit lassen, sich entsprechend der eigenen Befindlichkeit einzurichten.

Ist damit die Bedeutung von Architektur als 3.Haut erschöpft?

RW: Nein, Architektur kann Identität schaffen und dadurch ein Gefühl, das den Menschen ankommen lässt und ihm ein Empfinden von Heimat geben kann. Aber das bleibt immer nur ein Versuch. Denn Wohnen muss jeder Mensch für sich allein lernen. Kommt hinzu, dass das Beheimatetsein ja nicht nur von der Architektur abhängt, sondern auch von den Mitmenschen, denen ich in den Räumen begegne, die mich aufnehmen und die mir vertraut sind.
Geht man davon aus, dass Wohnen und Beheimatetsein nicht unmittelbar von der Schönheit der gebauten Architektur abhängen, dann ist dies in unserer modernen Gesellschaft immer augenfälliger. Es scheint, als würde das Bedürfnis nach Poesie und architektonischer Qualität der Wohnung und des gebauten Umfeldes für den mobilen und digitalen Menschen immer gleichgültiger. Das vorläufig letzte Beispiel: die Pokemonsuche in einem virtuellen Umfeld wird  zunehmend als ein Ersatz für die Wahrnehmung der realen Welt und deren sinnlicher Erfahrung erlebt.

Was bedeutet für Sie als Architekten die Aussage Blochs „Architektur ist und bleibt ein Produktionsversuch menschlicher Heimat?

UW: Die Aussage war und ist richtig. Ich muss mich fragen, ob es nicht hochmütig ist, dass ich mir als Architekt anmaße, eine architektonische Antwort für alle Menschen zu finden. Wir können immer nur aus eigenem kulturellen Hintergrund und emotionalen Entwicklungen heraus arbeiten und entsprechende Lösungen anbieten.
Wenn ich darüber nachdenke, kommt mir immer die Vision Yona Friedmanns von der „ville spatiale“ in den Sinn. Sie stellt eine städtische Struktur dar, in der sich die Bewohner der Zukunft ihr Lebensumfeld individuell errichten können. In Ägypten habe ich Betonskelette gesehen, die eine solche Struktur anboten. Sie waren unfertig, an manchen Stellen hatten Menschen Wohnungen eingebaut, manchmal sogar farbig gestaltet.
Das Ganze ist sicher nicht schön, aber für mich stellt es ein organisiertes Squattering in einer Megacity dar, die für viele Menschen Wohnraum vorhalten muss. Unsere Aufgabe als Architekten ist es, einen Rahmen zu schaffen, der als Kontext lebbar und erlebbar ist. Deshalb ist der Städtebau ein wichtiger Bestandteil unserer Arbeit. Er ermöglicht, die großen Linien einer Planung festzulegen, z.B. die autofreie Stadt, die Dichte, den öffentlichen Raum oder die Durchmischung der Funktionen und vieles mehr.

Woher stammen diese Ideen?

UW: Wir haben an der GhK – Gesamtschule Kassel studiert, zur Zeit des gesellschaftlichen Aufbruchs im Gefolge der 1960er Jahre. Und wir hingen natürlich den neuen Ideen von einem anderen Schulsystem an. Wir waren für offenen Strafvollzug, eine offene Psychiatrie, für einen sozialen Wohnungsbau, der in einen gut funktionierenden Stadtkontext eingebettet ist. Diese Ideen befreiten uns von unserer eigenen konservativen  Erziehung und öffneten uns die Augen für neue Sichtweisen.

RW: In dieser Zeit waren die Schriften der Frankfurter Schule und das Hauptwerk von Ernst Bloch „Prinzip Hoffnung“ Pflichtlektüre. Wir haben sie verschlungen, und sie haben uns geprägt, eine Prägung, die bis heute anhält.
Ich habe in der Vorbereitung zu diesem Buch das Kapitel in Blochs Buch über Architekturutopien noch einmal gelesen und fand es in seiner sprachlichen und  stilistischen  Wucht wieder beeindruckend, aber ein Ausdruck seiner Zeit und heute kaum noch lesbar. Wahrscheinlich war sich Bloch bewusst, daß sich seine marxistische Sozialutopie von der herbeigesehnten Heimat nie verwirklichen lassen würde. Schließlich stammt ja von ihm auch der Hinweis, dass in dieser Heimat noch nie jemand angekommen sei.
Dennoch ist es schade, dass wir in unserer kapitalistischen Welt alle unsere Träume von einer gerechten Welt aufgegeben haben. Wir tun im Grunde doch nur noch so als seien wir frei und könnten diese Welt wirklich retten.

Wie geht Ihr Büro mit den Anforderungen an Energetisches Bauen und mit dem Thema Nachhaltigkeit um?

UW: Wir machen uns viele Gedanken zur Umweltproblematik sehen die Entwicklung im Moment aber eher kritisch. Unser Büro hat vor vierzehn Jahren die erste Schule in Luxemburg in Passiv-Standard realisiert. Dieses Projekt in Born war für die kleine Landgemeinde und für uns selbst ein Pilotprojekt, das große Aufmerksamkeit erfahren hat. Seither arbeiten wir konsequent bei unseren Projekten an der Weiterentwicklung des nachhaltigen und energetisch sinnvollen Bauens.

RW: Erstaunlicherweise hat schon Heidegger auf einen schonenden Umgang mit natürlichen Ressourcen hingewiesen und vor der Vereinnahmung des Menschen durch Technik gewarnt. Ebenso ist es ein zentraler Gedanke bei Bloch, dass der Mensch seine Umwelt nicht ausbeuten und sein anthropozentrisches Weltbild aus Naturbeherrschung und Wachstumszwang zugunsten einer humaneren Gesellschaft aufgeben solle. Dies war aber schon bei Bloch eine unerreichbare Utopie.
Auch wir zweifeln bei der Erfahrung, die wir bislang gemacht haben, daran, dass wir den Übergang in eine Suffizienzgesellschaft mittel- oder langfristig bewältigen. Es ist eine Fehlannahme, dass Energieeffizienz durch eine immer höhere und komplexere Technisierung des Bauens erreicht werden kann. Erfahrungen zeigen, dass hohe Technisierung und eine komplizierte Regeltechnik die meisten Beteiligten überfordern und reell gemessen nicht die angestrebten Resultate bringen.
Die Szene wird von sehr viel Lobbying der Industrie gepaart mit politischem Aktionismus beherrscht. Daraus entstehen oft sinnlose Vorschriften, die aus Schönrechnerei von Ergebnissen und Zielen bestehen, „Green-Washing“ genannt. Wir vermissen systematisches Denken und ehrliches Handeln in der Diskussion über Nachhaltigkeit und kommen uns manchmal vor wie im Kampf Don Quichottes gegen Windmühlen.

Als Architekten bauen Sie für unterschiedliche gesellschaftliche Gruppen. Die Themen sind Bauen für Studenten, für den Strafvollzug, den sozialen Wohnungsbau und privates Bauen. Was ist für diese Ziel-Gruppen wichtig, und was ist unterschiedlich?

UW: Bis auf das private Bauen sind alle Aufgaben in ständiger Veränderung begriffen. Das private Wohnen neigt dazu, sich ideell an das Haben zu binden und dadurch das Sein in den Hintergrund zu stellen. Die Menschen unserer Gesellschaft richten sich fest ein, wollen Sicherheit und fürchten Veränderungen.
Da der private Bauherr eher sesshaft ist und bleibt, gehen wir hier intensiv auf die individuellen Bedürfnisse und Anforderungen ein.
Bei anderen Wohnformen hat man eine größere Anonymität der späteren Nutzer, mehr Fluktuation und zeitlich begrenzte Nutzungen. Deshalb erfordert dies allgemeingültigere, planerische Antworten.
Wenn man die Wohnanforderungen für unterschiedliche Bevölkerungsgruppen auf das reine Schaffen einer Schutzhöhle reduziert, sind die Lösungen einander ähnlich, nur das Umfeld ist anders. Leider lassen uns die städtebaulichen und die Bauvorschriften immer weniger Spielraum für innovative Konzepte, weil das Renditedenken immer dominanter  wird.

RW: Natürlich ist das Bauen von Zellen im Strafvollzug der Extremfall von schützender Höhle bzw... Hülle. Vier Wände, eine Tür, ein Fenster, alles vergittert. Da scheint der Insasse zwar sicher, aber auch völlig entmündigt.
In diesem Zusammenhang taucht seit kurzem ein interessanter Aspekt auf, der uns bisher noch nie so bewusst geworden ist. Das fast manisch anmutende Sicherheitsdenken unserer heutigen Gesellschaft verlangt nach Immer mehr Schutz, akzeptiert dafür aber auch immer mehr Einschränkung bzw. eine Kontrolle persönlicher Freiheiten, was den Menschen allerdings kaum aufzufallen scheint.

Sie haben in Neubauquartieren gebaut und in historischer Umgebung. Welche Unterschiede gibt es im Wohnungsbau bei solch unterschiedlichen Gegebenheiten?

UW: Für das Wohnen in der Stadt ist Echternach ein gutes Beispiel. Die Stadt bietet in Ihrer Struktur viele Orte, die historisch gewachsen sind und kann, obschon Echternach nur 5000 Einwohner hat, eine durchaus urbane Atmosphäre aufweisen. Die hier vorgefundene Dichte, die eine vier-bis fünfgeschossige Bebauung nicht scheut und die Häuser auch direkt an die Straße setzt, bietet im rückwärtigen Teil die Chance zur Privatheit. Öffentlichkeit und ein hochwertiger Privatraum schließen einander hier nicht aus. Hohe Umfassungsmauern mit kleinen  Pforten darin teilen  die privaten Räume ab.
Die immer wiederkehrende Enge durch hohe Mauern und hohe Bebauung stellt den Individualverkehr hintenan. Diese Strukturen sind über die Jahrhunderte gewachsen und haben sich aus dem Bedarf entwickelt. Sie sind nicht das Resultat von Festlegungen. Ich frage mich manchmal, ob die Stadt durch Menschen wirklich planbar ist, wie wir glauben.
Das Leitmotiv für uns bei urbanem Bauen ist die gewachsene, mittelalterliche  europäische Stadt in ihrer ganzen Formausprägung und Materialität. Darin stimmen wir mit Nichtarchitekten und Touristen überein, die solche Städte immer wieder besuchen, auch wenn sie zu Hause im klassizistischen Mini-Palazzo leben oder im  08/15 Einfamilienhaus. Die mittelalterliche Stadt ist für uns der Idealtyp, auch weil dies unser kultureller Hintergrund ist, nicht aber die aussereuropäischen Megacities.

Können Sie die unter Architekten verbreitete Meinung, dass Stadt wirklich planbar ist, bitte noch vertiefen?

RW: Es gilt, einen emanzipatorischen Prozess in die Wege zu leiten.
In Echternach würde die Verdeutlichung und das Erkennen der Qualitäten des Ortes dazu führen, Wege aufzuzeigen, um die vorhandenen Strukturen zu erhalten und weiter zu entwickeln.  Der Einzelne muss verstehen lernen, wie er dann den Bestand durch Neubau ergänzen kann und damit einen wirklichen Mehrwert schafft. Wir müssen auch begreifen, dass man aus einem gewachsenen mittelalterlichen Stadtgefüge keine autogerechte Stadt machen kann. Wer in einem historischen Gefüge neu baut, darf nicht zum Nachweis von Stellplätzen gezwungen werden.
Und das Neue darf nicht als oberflächliche Verschönerung daher kommen, sondern muss eine gute selbstbewusste Ergänzung sein.
Neues Bauen an Standorten ohne Geschichte dagegen heißt nicht nur neue Häuser, sondern oft auch ein neuer Städtebau. Die Anforderungen an beides sind allerdings gekennzeichnet von Normen und Vorschriften, die wenig Spielraum lassen. Dem Individualverkehr wird allgemein zu viel Bedeutung zugemessen, und die Mischung von Funktionen, die so wichtig für lebendige Viertel sind, wird mehr und mehr beschränkt.

Was ist der Genius loci, und wie kann man ihn herstellen? Wie wichtig ist Atmosphäre in einem Wohnviertel?

UW: Die Atmosphäre in einem Viertel lässt sich mit Musik vergleichen.
Sie ist das Zusammenklingen oder Zusammengehen von verschiedenen Funktionen, von Besuchern und Bewohnern. Städtebau läst sich durchaus mit einem orchestralen Stück vergleichen. Alle Instrumente müssen ihre Eigenheiten zeigen dürfen und im Gleichgewicht mit den anderen sein. Dieses Gefüge,  das auf die präzise örtliche Typologie und Materialität reagiert, muss Variationen zulassen und viele Interpretationsmöglichkeiten aufweisen, die es bereichern.
Dadurch lässt sich ein Genius loci herstellen. Aber es ist die Frage, ob in unserer globalisierten Welt mit der Haltung des „Alles geht“ ein genius loci überhaupt noch wahrgenommen wird. Und da sich der genius loci selbst auch verändert, bleibt das Problem, wie er in Zukunft aussieht. Hoffnung besteht in der immer stärkeren Nachfrage nach regionalen Produkten, was sich auch in der Architektursprache niederschlägt, im wieder bewussteren Wahrnehmen von natürlichem Umfeld und Landschaft  und der Weiterentwicklung von tradierten Materialien und Bauweisen.

Was bedeutet für Sie „einfach“ bauen?

UW: Meine Prägung des Genius loci liegt im Backstein der niedersächsischen Bauweise. Backstein ist für mich das lebendigste und ausdrucksstärkste Material überhaupt; es hat eine nuancierte Farbigkeit, ist langlebig, altert wunderbar und ist in seiner Patina fast am schönsten. Backstein wirkt beruhigend und vertrauenserweckend und ist so modern, wie ich ihn einsetze.
Hier in Luxemburg war es naheliegend, sich den örtlichen Besonderheiten, geprägt durch Stein und Putz, anzupassen, um dem Ort gerecht zu werden.
Oberste Priorität haben für uns Räume zum Wohlfühlen, die den Menschen positiv beeinflussen. Unsere Räume suchen das Funktionale und sind in ihrer Architektursprache reduziert. aber sie setzen auf Harmonie und Proportion, ich würde sie schnörkellos poetisch nennen. RW: Einfachheit bedeutet für uns nicht ärmlich. Das Einfache  konsequent ausführen ist aufwändig und in der Umsetzung durchaus komplex. Unsere Materialwahl ist sinnlich und soll eine angenehme Atmosphäre ermöglichen, haptisch gut anfassbar sein. Patina ist erwünscht. In dieser Auffassung zeigen wir Parallelen zu dem japanischen Schönheitsbegriff Wabi-Sabi.

Kann man im Wohnungsbau eigentlich noch Neues finden und realisieren? Oder ist alles schon erfunden, und wir können es nur wiederfinden, variieren und modernen Gegebenheiten anpassen?

RW: Wahrscheinlich gibt es im Grunde nicht viel grundsätzlich Neues zu entwickeln. Das Bestreben müsste aber sein, Qualität auf allen Ebenen zu fördern. Wir können uns der gebauten Umwelt ja nicht entziehen, und in vielen Quartieren z. B. der Gründerzeit genügt ein wenig mehr Liebe zum Detail und Material um eine ganz andere Atmosphäre der Menschlichkeit zu erreichen.

UW: Was uns an neueren Wohnbaulösungen interessiert, ist ihre Flexibilität.
Wir suchen Lösungen, die nicht starr einem Muster folgen, sondern Spielraum für Leben und Freiraum für Veränderungen zulassen.
Es gibt Ansätze im neueren Wohnungsbau die nach wie vor interessant sind so z.B. das Sommer-Winterhaus, das Mehrgenerationenhaus, Wohnen und Arbeiten an einem Ort. Diese Ideen sind noch lange nicht erschöpft, denn in diesen Kombinationen steckt noch viel Potential. Aber dieses Potential muss man sehen und ausprobieren. Bei unserem Projekt „Op der Esplanade“ ging es um Freizeit, Arbeit und Wohnen, aber dieses Miteinander wurde nur teilweise verstanden. Die fatale Trennung von Wohnen, Arbeit und Freizeit, wie sie die Charta von Athen formuliert hat, muss endlich überwunden werden.
Der Wohnbegriff ist für uns sehr umfassend. Über das Wohnen in den eigenen vier Wänden hinaus umfasst er alle Aspekte unseres Daseins. Deshalb hoffen wir auch darauf, dass unsere Gesellschaft trotz aller Verirrungen noch dazu imstande ist, Konzepte für neue Wohnquartiere zu entwickeln, die ein menschlicheres Zusammensein und Zusammenleben fördern.

Aus: Witry & Wittry, Über das Wohnen, 2018, Hrg. Ingeborg Flagge