Wir leben in einem Meer von Licht. Wellen elektromagnetischer Energie pulsieren durch die Luft. Jedes Pünktchen und jede Struktur scheint ein Muster von Dunkel und Helligkeit.
Ohne Licht keine Form und kein Raum. Wenn Le Corbusier Architektur definiert als „Spiel der Körper unter der Sonne“, so beschreibt er damit das Licht als Strahlung, die unsichtbar durch die Luft läuft und dort auf die physische Matrix eines Stoffes trifft und dadurch selbst erst sichtbar wird und sichtbar macht.
Was Le Corbusier nicht beschreibt, ist die Möglichkeit des Lichtes, in die Struktur der Dinge selbst vorzudringen, sie von innen zu erhellen, dass sie zu leuchten beginnen. Das Materielle und das Immaterielle stehen einander nicht länger gegenüber, sondern treten miteinander in einen vibrierenden Austausch.
Laub und Schnee in der Natur gehören zu denjenigen Stoffen, die vielleicht am faszinierendsten sowohl Resonanzboden für das Licht sind als auch von ihm durchdrungen werden können, als besässen sie eine eigene Strahlung. Sonnenstrahlen treffen auf hauchdünne Blätter, werden reflektiert und gleichzeitig eingesogen und das Blattwerk getränkt mit den Farben der Jahreszeiten. Henry Plummer, beschreibt es so: „Im Herbst füllen sich diese lichtdurchlässigen Decken mit trunkenem Bernstein, und gegen einen azurblauen Himmel werden sie wie brüchige Metallfelder aus Kupfer und Gold zurückgeworfen.“ Plummer beschreibt auch die Weiße frischen Schnees als Resultat einer inneren Transfusion des Lichtes. Millionen farbloser, transparenter Kristalle, aus denen sich Schnee zusammensetzt und die locker zusammen frieren, reflektieren in ihren Facetten das Licht und lassen es gleichzeitig wie bei transparenten Spiegeln durch. Die Strahlen dringen tief in das körnige Material ein, treten in einem anderen Winkel wieder hinaus, und der Betrachter gewinnt den Eindruck, als glühe der Schnee von innen.
Die vom Menschen geschaffene materielle Welt ist von anderer Art als die der Natur, aber auch hier ist es möglich, eine vergleichbare Palette an Lichterscheinungen und –wirkungen zu erzielen – mit Tages- wie mit Kunstlicht. Gute, sprich lebendige Architektur und ihr Innenausbau spielen mit Licht und modellieren damit ihre Materie . Gerhard Auer hat schon vor über zehn Jahren herausragende Architekten auf ihren Umgang mit Licht untersucht und vier Lichttemperamente zu definieren versucht: das rationale Licht, das vitalistische, das illustrative und das puristische. Er beschrieb diese vier unterschiedlichen Lichtentwürfe anhand von Materialien und den Wirkungen des Lichtes auf deren Oberflächen. Leider hat sich niemand in seiner Nachfolge dieses wichtigen Themas angenommen und es weiter zu entwickeln versucht.
Wie immer Formen und ihre Materialien beschaffen sind, ob es bearbeitetes Holz ist, ob behauener Stein, geblasenes Glas, gebrannte Keramik, gehämmertes Metall, geformter Kunststoff, eine gewebte Substanz, ob die Struktur grobkörnig, geschliffen, faserig oder glatt ist, sie alle können das Licht, das auf sie trifft, ganz unterschiedlich reflektieren, lenken, absorbieren, färben, projizieren, bündeln, streuen und verteilen. Für den Betrachter ist die kluge Kalkulation aller dieser Wirkungen nicht immer verständlich, aber sie beeinflusst sein Erleben von Architektur zutiefst.
Junìchiro Tanisaki hat in seinem Kultbuch „Lob des Schattens“ beschrieben, wie unterschiedlich Japaner und Europäer geprägt sind und entsprechend anders mit Licht, Farben und Materialien umgehen bzw. umgingen. Denn die jahrtausende alte Kultur der Unterschiede verliert in einer globalisierten Welt an Relevanz . Unterschiedliche Weltbilder, in denen das Licht die Raum- und Zeitvorstellungen von Menschen und Kulturen geprägt hat, verlieren an Gültigkeit.
Das kleine Buch macht klar, dass die japanische Tradition eine des indirekten Lichtes ist, die transluzente Materialien liebt, matten Widerschein, weiche Stoffe, dicke und grobe Papiere, die das Licht aufsaugen und die Tinte und Farbe auseinanderfliessen lassen. Die Europäer dagegen lieben es ausgeleuchtet und eindeutig: weisse Wände, weisses Porzellan, hellpoliertes Besteck, hartes Papier, spitze Bleistifte, die präzise Linien ziehen. Der Japaner bevorzugt sanfte dunkle Farben, der Europäer helle und klare.
Analog zu den traditionellen Shoji Wänden aus Papier, die ein weiches Licht durchlassen und präzise Figuren zu Schemen auflösen, lieben zeitgenössische
japanische Architekten wie Tadao Ando, Fumihiko Maki oder Atsushi Kitagawara matte Glasbausteine und geätztes Glas für ihre Bauten. Deren Wirkung ist der der Shojiwände vergleichbar: der exakte Umriß dahinter liegender Bauteile wie Treppen oder dahinter sich bewegende Personen wird undeutlich und milchig Das Licht selbst kann ungehindert durch das Material eindringen.
1978 baute Tadao Ando seine erste Wand aus Glasbausteinen, die das Tageslicht ein- und das künstliche Licht hinauslässt, selbst aber undurchsichtig ist. Diese Faszination eines scheinbaren Widerspruchs hat ihn bis heute nicht losgelassen. Im Laufe eines Tages ist die Lichtfülle einer Glasbausteinwand einem ständigen Wandel unterworfen. Flach einfallendes Licht durchdringt sie ungehindert, steil einfallende Lichtstrahlen werden von der Oberfäche scheinbar absorbiert. In Dämmerungsphasen, wenn sich die Lichtintensität von innen und aussen die Waage hält, gibt eine solche Wand ihre Solidität auf und entweicht in ein scheinbar schwereloses Schattenreich.
Einer von Tadao Andos schönsten Bauten ist die Hochzeitskapelle Mount Rocco. Eine weiße transluzente Kolonnade von fast kontemplativer Eindringlichkeit führt zur Kirche: ein Weg, der ganz Konzentration ist. Die Natur, ihre Farben, ihr Licht spielen dezent und gedämpft in diesen milchigen Gang hinein, aber nur indirekt. „Das Schaffen von Raum in der Architektur ist nichts anderes als die Verdichtung und Läuterung von Licht, „ beschreibt Ando seinen Umgang mit Licht.
Ando liebt den Beton, und der Beton liebt seine Bauten. Das ansonsten schwere Material und die aus ihm gemachten massiven Wände können bei ihm federleicht wirken. In vielen seiner Gebäuden trennt ein schmaler Schlitz Wand und Decke. Durch ihn fällt vibrierendes Sonnenlicht ein, streichelt die seidenweichen Oberflächen, für die sein Beton berühmt ist, erglänzt auch momentan auf dem Boden, wandert dann aber weiter und erkundet den Raum.
Ganz anders die Wirkung von Licht und Sonne auf einem Beton, wie ihn das Büro Herrmann& Valentiny für Schloß Heisdorf benutzt hat: der Beton wurde nach dem Ausschalen beschlagen. Das und die sägerauhe Schalung führen zu unregelmässigen Wülsten, die gebrochene Schattenkanten entstehen lassen und ein lebendiges Licht. Je nach der Zusammensetzung des Betons glitzern diese Wände wie aus Tausenden Lichtpunkten gemacht. Die Betonbearbeitung benutzt das Büro innen wie aussen; zusammen mit leuchtend gelben Okuméplatten, die ebenfalls innen wie aussen eingesetzt werden, ergibt das Wirkungen von stupender Eindringlichkeit.
Man könnte Frank Lloyd Wright wegen seines Umgangs mit Licht für den Romantiker unter den Architekten halten. Gerhard Auer nennt die Art von Wrights Licht vitalistisch. Die Materie soll nicht wie bei Ando durch Licht erklärt, sondern belebt werden. Wrights Interieuers lieben unterschiedliche stoffliche Oberflächen, in denen das Licht gespiegelt, absorbiert, diffundiert wird. Vielfältigkeit ist das Credo des Materialfetischisten Wright, Glattes steht neben Stumpfem, Mattes neben Glänzendem. Wright liebt Dämmerungen und Unschärfen und ein gebrochenes Licht, das wie durch Schleier fällt. Leder, edles Holz in unterschiedlichen Färbungen, gemaserter Stein, die Materialien des Architekten suchen die Vorbilder ihrer Lichtwirkungen im Jugendstil. Auer meint, dass sein Licht „eher unser Gemüt als unseren Geist erregt und spontaner Sinneswahrnehmung mehr als dem Intellekt vertraut. “Vielleicht ist die innere Verwandtschaft Wrights mit der japanischen Lichttradition der Grund für den seinerzeitigen Erfolg des Imperial Hotels Tokio, das 1922 fertig wurde.
Wright reizt das Licht in allen denkbaren Nuancen und Modulationen aus. Gelbgetönte Oberlichter simulieren freundliches Sonnenlicht auch an dunklen Tagen- ein Einfall, den Günter Behnisch durch gelb getupftes Gold in der Kuppel des Bonner Plenarsaales nachahmte. Angeschliffene Mattscheiben und Glasröhren lassen Licht und Sicht diffus werden. „Schönheit ist Fülle“, sagt Wright und lässt keine Chance ungenutzt, die Oberflächen von Hölzern, Metall, Ziegeln, Steinen aufzurauen, zu polieren, zu glätten. Seine künstliche Beleuchtung will keine tagegleiche Helligkeit, sondern nuanciertes Licht. „Die ganze Würde von Farbe und Material, die in jedem Stoff zur Verfügung steht, ist auf Dauer von Glas und Licht entwertet, „ schreibt er und erteilt damit den heute so beliebten transparenten Glasbauten eine vehemente Absage.
Richard Meier ist das Gegenteil von Frank Lloyd Wright. Er interessiert sich kaum für Kunstlicht, sondern misstraut ihm vielmehr , seine Tageslichtskulpturen in unkontrollierbare Nacht -und Schattengebilde aufzulösen. Er glaubt wie Le Corbusier an „die Sonne als Dirigentin der Schatten.“ Meiers Bauten sind Gefässe des Tageslichtes, sein Bestreben ist die Entmaterialisierung der Konstruktion durch Licht. Die radikale Ästhetik seiner Gebäude setzt auf die Farbe Weiß und eine Struktur der Schatten. Im Aussenbereich erreicht er die Absolutheit seiner Konstruktionen durch weiß beschichteten Stahl oder –preiswerter – weissen Putz. Sein Markenzeichen, das blendende Weiß, ist die ideale Leinwand für einen kalkulierten Schattenwurf. Über die Öffnungen von Fenstern, Terrassen, Dächern fällt das Tageslicht im Inneren auf Rampen, Brücken, Treppen und zeichnet sie als dunkle Linien, Umrisse, Gitter und Netze auf Böden und Wände.
Frank Lloyd Wright verwandt, wenn auch auf unterschiedliche Art, sind der Kölner Thomas van den Valentyn und der Schweizer Peter Zumthor. Vor allem van den Valentyn teilt Wrights Vorliebe für erlesene Materialien, luxuriöse Interieurs und ein Licht, das sich auf polierten und glänzenden Flächen spiegelt. Der Bonner Beethovenkammermusiksaal in seinen edlen Hölzern und exquisiten Farben, die das Licht weich ausleuchtet, ist wie ein Schatzkästchen konzipiert. Der elegante Raum seiner Bibliothek in Halle konzentriert sein ruhiges Licht auf die Tische, das direkte Sonnenlicht wird durch Jalousien nur gedämpft eingelassen, stört aber nicht die Konzentration dieses Raumes, der zum Arbeiten fast zu schön ist.
Peter Zumthor hat in seinem Bad in Vals einen Raum für die Sinne geschaffen. Das Miteinander aus grünlichem Stein, Wasser, intimem, farbigem Licht, das sich im Dampf tausendfach bricht, reflektiert, bewegt, sucht seinesgleichen in der zeitgenössischen Architektur. Auch die dämmrige Halle im neuen Diözesanmuseum in Köln ist einzigartig: ein hoher Raum, durch dessen durchbrochen vermauerte Ziegelwand Sonnenlichtpunkte hineinspielen. Ein Steg aus rötlichem Padonkholz windet sich schimmernd durch die schwach beleuchteten Ruinen, ein Raum, dessen weihevolle Atmosphäre eher einer Kirche als einem Museum zu Gesicht steht.
Viele zeitgenössische Architekten, vor allem Hightech Architekten, sind eher dem Tages- als dem Kunstlicht zugetan. Nicht zuletzt weil sie zu wenig über die Inszenierung des Lichts wissen. Die grosse Ausnahme hier ist Jean Nouvel. Er begegnet der Materialität und Standfestigkeit der Architektur mit einer Licht-Vision des Flüchtigen und Vieldeutigen. Er aktualisiert in vielen seiner Bauten die Transparenz der ehrlichen Moderne zu einem illusionistischen Drama. „Kein anderer vor ihm hatte so viele Mittel der Lichtdramaturgie zur Verfügung, Spots, farbige Laser, glimmende Punkte und Netze, Stroboskope, Leuchtgase, Halogenduschen“ (Auer). Lochbleche, Gittersiebe,transluzente Filter, geschliffene Metalle, glänzende Lacke, Nouvels materielles Vokabular ist lichtsüchtig. Sein Repertoire ist das eines pyrotechnischen Meisters, der Effekte aller Art liebt, Lichtwirkungen steuert, als sei ein Bau eine Bühne oder ein Film. Nouvel denkt und baut in Licht. Seine Fassaden sind oft wie Leinwände, auf denen Nachrichten, Wolken, Menschen wie flüchtige Bilder dahinhinziehen. Nouvel schätzt Ehrlichkeit im Bauen nicht hoch. Er liebt die Illusion und verwandelt die Bandbreite aller ihm zur Verfügung stehenden Materialien durch die Berühung mit Licht zu neuem Gerät.
Seit Glasstahlbauten nicht mehr transparenter werden können, seit massive Wände als langweilig gelten, sind Architekten auf der Suche nach neuen Fassadengestaltungen. Das neueste Projekt in dieser Hinsicht ist die Bibliothek von Archeo Associati in Nembro. Bücher und Blätter schwebten den Architekten als Bilder für ihre Fassade vor. Die rötlichen Tonplatten, die jetzt an einem Stahltragwerk vor den Fassaden hängen, waren dann aber zu schwer, um sie einfach zu bewegen. Der Ausweg: sie wurden als dekoratives Muster in unregelmässigen Winkeln fest montiert. Interessant anzuschauen, bei jedem Licht anders, aber Aufwand und Wirkung stehen in keinem Verhältnis.
Ingeborg Flagge