Die Rückkehr der Farbe

Weiß in der Architektur ist out, Farbe ist angesagt

Die Architektur trägt seit neuerem wieder Farbe. Die „Verzichtsarchitektur der neuen Sachlichkeit“ (Walfried Pohl), die in Weiß und Grau daherkam, mit flächigen Fassaden und in neutralem Gewande, scheint überholt. Eine zunehmende Zahl von Architekten hat ihre Farbangst abgelegt und bringt Mut und Verständnis für Farbe auf und verlässt die ungeschmückten Sachformen des modernen Bauens zugunsten eines neuen gestalterischen Reichtums in Material und Farbe. Bruno Taut mit seinen stark farbigen Häusern wäre heute nicht mehr, wie Tom Wolfe in seinem Buch „From Bauhaus to our House“ schrieb, Anlaß von Spott und Häme: „ But a red shade? A color? Well, I mean, my God... how very bourgeois...Oh, how they sniggered at poor Bruno over his beloved red front“.

Dieses Zitat macht gleichzeitig deutlich, dass die weisse rationale Architektur der 2oiger und des Bauhauses eine Vorliebe großstädtischer Intellektueller und der Avantgarde war, die sie als Ausdruck ihres fortschrittlichen Lebensgefühles empfanden. Für die Masse der Menschen dagegen blieb die kühle weiße Architektur vor allem eine Marotte der Baumeister, die nie geliebt, sondern höchstens ertragen wurde. Es muß ja nicht  die kindliche Buntheit der Bauten eines Friedensreich Hundertwassers sein, aber unzweifelhaft ist, dass Farbe in der Architektur einen Zuwachs an Emotionalität mit sich bringt und so dazu beiträgt, ob und wie ein Gebäude von den Bewohnern akzeptiert wird. Farbe als Gestaltungsmittel findet jedenfalls zunehmend mehr Zustimmung.

Die Farbpsychologen wissen, dass Weiß nach heftigem Farbrausch geradezu als Wohltat und Erholung erlebt wird. Auf Dauer aber unterfordert Weiß das Sehvermögen und bewirkt Nervosität. Der Mensch hat sich schließlich aus farbigen Landschaften heraus entwickelt. Der Biologe Bernd Lötsch, Direktor des Naturwissenschaftlichen Museums in Wien, erklärt dies so: „Der Mensch ist konstant an ein reich strukturiertes Gelände mit vielfacher Pflanzenwelt angepasst. Wo er kann, holt der Mensch Pflanzenformen in seinen Lebensraum, entweder als lebendiges Gewächs in der Wohnhöhle ... bis zum Jugendstildekor. Erst der Funktionalismus verbannte die Pflanzenornamente aus der Architektur und schuf damit bald unbewusste ... Mangelerlebnisse für das uralte Naturwesen Mensch“. So erklärt sich die Palme im Wohnzimmer, aber auch die Vorliebe des Menschen für Farbe.

Da Farbe seit Urzeiten das Leben des Menschen bestimmt und darüber inzwischen viel geforscht wird, wird Farbe auch therapeutisch eingesetzt. Der Urmensch in seiner gefährlichen Alltagswelt sah aus guten Gründen vorwiegend Rot, weswegen rote Farbtöne bis heute wachrütteln. Der Zahnarzt, der seine Praxis in Türkistönen hat ausmalen lassen, weiß, dass dieser Ton entkrampfend wirkt. Eine violette Unterlage mindert die Wucht von epileptischen Anfällen.

Da der Mensch von Farben stark und nachhaltig beeinflusst wird, ja, unser Hirn geradezu Farbe braucht, um sich in einer Umgebung zurecht zu finden, geht es auch in der Architektur um eine ausgewogene Mischung aus neutraler und bunter Farbigkeit. Ein Zuviel wird schnell zum Farbterror, der Stress auslöst. Man stelle sich die Welt als eine Ansammlung von buntesten Hundertwasserhäusern vor, ein Alptraum, der auch diejenigen überfordern würde, die ansonsten sein Dekor lieben.

Farben werden in den verschiedenen Teilen der Welt unterschiedlich erlebt und gelesen. Jedes Land hat eine andere Farbtradition. Das Weisse Haus in Washington sollte das neoklassische amerikanische Gegenstück zur europäischen Baukunst werden, und insofern hatte es weiß zu sein. Die Gründerväter Amerikas, die fast alle Freimaurer waren, suchten das Weiß, weil sie damit an die von ihnen bewunderten weissen griechischen Tempel anknüpfen wollten. Sie ahnten damals noch nicht, dass diese alles andere als weiß, sondern stark farbig gewesen sind.


Dennoch scheint mir in dem alten Streit, ob denn auch Weiß eine Farbe sei, vieles dafür zu sprechen. Schließlich war es Isaac Newton, der heraus fand, dass sich weisses Licht aus Wellenlängen des gesamten Farbspektrums zusammensetzt. Und betrachtet man Richard Meier, den vielleicht radikalsten zeitgenössischen Architekten in seiner Vorliebe für Weiß, dann erlebt man seine Architektur als vielfarbig weiß.

Weiß ist sein Markenzeichen, Weiß gibt seinen Bauten ihre abstrakte Plastizität und intellektuelle Überzeugungskraft. Er behauptet: „Weiß ist für mich die schönste Farbe, weil man darin alle Farben des Regenbogens erkennt. Die Weißheit von Weiß ist ja niemals nur weiß...weiß wird durch das Licht permanent verändert... Vor einer weissen Oberfläche lässt sich das Spiel von Licht und Schatten...am besten verstehen.“ Betrachtet man Meiers Bauten, die raffiniert-einfach erscheinen und dennoch komplex und vielschichtig sind, dann erkennt man, dass die ingeniöse Durchdringung seiner Räume, die Verknüpfung von Kuben, geschlossenen Wandscheiben und Rahmen eine virtuoses Spiel ist, das Weiß in allen Schattierungen bricht, verdichtet und sich in vielfältigen Schattierungen von Grau erleben lässt. Man kann deshalb wohl von einer veritablen Farbigkeit der Architektur Meiers sprechen, voller Tiefe, voller Plastizität, zwar abstrakt, aber von raffiniertem Licht- und Schattenzauber, farbig, aber ohne Farbe.


Völlig anders bei Luis Barragan, dem berühmtesten aller mexikanischen Architekten. Er war ein Meister ebenso dramatischer wie einfacher Architektur von fast mystischer Eindringlichkeit. In seinen abstrakten Räumen treffen sich Stimmungen, wie von de Chirico oder Magritte gemalt. Seine Häuser sind ein Nichts aus Masse und Leere und aus starken Farben.

Mexiko ist ein ebenso wildes wie faszinierendes Land. Seine Literatur, Musik, Kunst und seine Bauten spiegeln starke Emotionen wider, unergründliche Traurigkeit und überschwengliches Glück. Krieg und Frieden wohnen hier so eng beieinander wie Sonne und Schatten. Gegensätze treffen jäh aufeinander. Und Barragans Architektur folgt eben diesen Gesetzen. Dunkelschwarze Materialien kontrastieren zu hellen Wänden, raue  Flächen gesellen sich zu polierten, gewachsener Fels steht neben geschliffenem Stein. Unter der harten Sonne Mexilos behaupten sich nur grelle Farben. Aber sie ermüden rasch und dörren aus. Barragans Farben, die alle scheinbar unversöhnlich gegen- und nebeneinander stehen, sind vor allem Rosa, Zitrone, Koralle und Ocker in den verschiedensten Stadien des Verbleichens. In seinen letzten Jahren erlaubte sich der Architekt auch ein kühles Blau. Orange ist eine seiner Hauptfarben. Sie wirkt nie zart oder zerbrechlich wie Beige, Mint oder Lindgrün. Sie leuchtet zwar nicht so knallklar wie Zinnoberrot. Aber sie will sich auf der Farbpalette nach vorne drängen. Orange, eine Mischung aus Gelb und Rot, ist ein vibrierender Farbton und wirkt am stärksten großflächig, was den Bauten Barragans entgegenkommt.

Richard Meiers weisse Architektur ist klar und abstrakt. Wenn die Sonne nicht scheint und ihre Schatten malt, verliert sie ein wenig von ihrer weissen Farbigkeit. Doch selbst an dunklen Tagen leuchtet sie aus sich selbst heraus. Barragans starkfarbige Architektur ist magisch und geheimnisvoll. Sie rührt an innere Schichten des Menschen, die Meier nicht erreicht. Doch beider Architektur ist großartig, und darum geht es schließlich.

Architekten müssen den Umgang mit Farbe erst wieder lernen. Denn in den letzten hundert Jahren wurde die Farbigkeit von Architektur an Hochschulen nicht gelehrt. Dabei ist die Tradition und Baugeschichte von China bis Europa, von Ägypten über die Antike, die Renaissance und den Barock bis zum Jugendstil eine Geschichte der Farbigkeit, von Farbharmonien und Farbklängen. Allerdings geht es in Zukunft nicht darum, einfach Farbe über bisher weisse oder graue Architektur auszugiessen. Es gilt, Farbe wieder als integralen Bestandteil des Formprozesses zu verstehen. Denn Farbe hat einen Formwert. Erst durch die Farbe bzw. durch das Licht lassen sich Maße und Volumen erkennen und definieren. Licht entscheidet über Qualität und Intensität einer Farbe wie Licht letztendlich über Architektur entscheidet, indem sie diese erst sichtbar macht. Ein spannendes Fortbildungsprogramm für Architekten!