Der hoch gewachsene Mann mit den buschigen Augenbrauen im gebräunten Gesicht und dem weissen Haarkranz könnte auch ein Regisseur oder Filmschauspieler sein. Die Eleganz seiner stets dunkelgrauen Anzüge mit weissem Hemd und altmodischer Krawatte würde aber auch zu einem Banker passen. Doch Richard Meier ist Architekt, Amerikaner von Geburt und Urenkel deutscher Vorfahren aus Frankenthal bei Würzburg, die im 19. Jahrhundert in die USA emigrierten.
Auf Grund seines riesigen Oeuvres ist Meier einer der erfolgreichsten Architekten der letzten Jahrzehnte. Aber er entwirft auch Geschirr, Möbel und Objekte, die Anleihen am strengen Jugendstil machen. Darüber hinaus malt er, erstellt Collagen und teilte in seinen Anfängen das Studio mit seinem Malerfreund Frank Stella. "Tagsüber war ich Architekt und nachts habe ich gemalt". Für die Klavierfirma Ibach entwarf der Vielbegabte zu ihrem 200. Firmenjubiläum einen genial schlichten Flügel, den Klaviervirtuosen wegen seiner Klangqualität und ästhetischen Anmutung – "er scheint zu schweben" – über alle Maße loben.
Vor allem aber ist "the white guy", so genannt von Kollegen auf Grund seiner weissen Bauten, mit Leib und Seele Architekt, ein radikal moderner Architekt, dem zitierte Bauformen der Vergangenheit verhaßt sind. "Das Zeitlose und das Zeittypische miteinander zu verbinden ist für mich die Grundlage von Stil". An diesem Stil arbeitet er kontinuierlich seit Jahrzehnten.
Richard Meier, Sternzeichen Waage, ist im persönlichen Umgang ein gelassener und gewinnender Mann; in seiner Architektur aber ist er kompromisslos. Seine Bauten sind unverkennbar, er hat einen eigenen "Stil", was heute keinem anderen Architekten weltweit mehr gelingt. Von allen Bauten liebt er vor allem Museen. "Wenn ich könnte, würde ich am liebsten nur Museen bauen". In Deutschland, wo die meisten seiner Bauten in Europa zu finden sind, wurden allein sieben Museen realisiert. So 1984 in Frankfurt das beeindruckende Museum für Kunsthandwerk, wo eine integrierte klassizistische Villa die Maße für den Neubau liefert. Das Ulmer Stadthaus 1993 ist als weisse Antithese zum gotischen Münster konzipiert, das Museum Burda 2004 in Baden-Baden ist in den Worten des Bauherrn ein Werk in "antimonumentalem Stil" und von "größter Leichtigkeit".
Als ich Ende der 1970-er Jahre auf Wunsch von Johannes Wasmuth den Kontakt "zu dem Architekten mit den weissen Häusern" herstellte, war das Arpmuseum nur ein Traum Wasmuths. Auch als Richard Meier nach ersten Gesprächen in New York zum ersten Mal nach Rolandseck kam und wir das Rheinufer und die Umgebung des Bahnhofs nach einem idealen Standort für eine mögliches Museum absuchten, war nicht sicher, daß die erste Skizze, die schon bald vorlag, je gebaute Wirklichkeit werden würde.
Als junger Architekt war Richard Meier ein Geheimtip und gesucht von einer reichen Klientele, die bei ihm weisse Villen in Auftrag gab, von komplexer, transparenter Schönheit wie das Douglas House, das dramatisch über dem Lake Michigan thront und kühle Eleganz mit abstrakter Präsens verbindet. Diese verführerischen Bauten machten ihn berühmt. Mit dem Bau des Atheneums 1979 in New Harmony und 1983 des High Museums in Atlanta festigte Meier endgültig seinen Ruf als Purist und Magier des Baustoffes Licht. Beide Museen sind voller Lichtzauber und entwickeln ihre Gestalt aus einem phantasiereichen Umgang mit der Geometrie. Zylinder, Halbkreise, Kuben verbinden sich mit Pfeilern Säulen, Arkaden, Wandscheiben und Rahmen zu Raumgebilden von komplexer Schönheit.
Aus diesen Bauten sprach Klarheit, Ordnung und Disziplin, und dies begeisterte auch die Jury des prominenten Pritzkerpreises, die Meier 1984 diesen Preis verlieh. Er war der jüngste, je ausgezeichnete Preisträger und erhielt die Auszeichnung für "noble und harmonische Entwürfe der besten Qualität unserer Zivilisation" (Arara Isozaki). Meier widerlegte damit den von ihm bewunderten Baumeister Le Corbusier, der meinte, daß ein Architekt erst dann ernst zu nehmen sei, wenn er die 50 überschritten habe.
Von den europäischen Städten, in denen er baute - "ich habe nur noch nicht in Skandinavien und Belgien gebaut" - lernte Richard Meier alles über europäischen Städtebau. Ohne die Kenntnis der kompakten, historischen Stadt in Europa mit ihrem klar definierten Zentrum wäre aber der Bau des Getty Centers am Rande von Los Angeles (1998) nicht möglich gewesen.
Dieses vielfältige Ensemble, das wie ein Dorf am Mittelmeer auf einem Felsen weit sichtbar über der Stadt thront, war der größte Direktauftrag an einen Architekten im 20. Jahrhundert. Um dieses faszinierende Gebilde aus unterschiedlichsten Häusern für den Kunstmäzen Getty zu realisieren, verzichtete Meier sogar auf das Weiß als Markenzeichen seiner Bauten. Der Bauherr wollte es anders. Stattdessen wurde das Getty Center in hellem Sandstein-Ocker errichtet und gewinnt dadurch an Wärme und sensueller Ausstrahlung. Die Kollegen nennen diese für Meier aussergewöhnliche Farbigkeit leicht spöttisch "Getty white".
Nach diesem Bauauftrag, mit dem Amerika seinen Architekten aus Europa zurück importierte, hätte sich Meier getrost zur Ruhe setzen und seinen Ruhm geniessen können. Aber welcher Architekt, der seinem Beruf leidenschaftlich verfallen ist wie Meier, kann das schon.
Er machte einfach weiter, als gäbe es zu seiner Architektur keine Alternative, und suchte, seinen Stil und seine reduzierte Ästhetik
weiter zu verfeinern. Drei Projekte machen dies besonders deutlich:
die Kirche Dio Padre Misericordioso bei Rom (2003) in ihrer Gestalt aus drei leicht gebogenen Wandteilen, die geblähten Segeln eines Schiffes in voller Fahrt ähneln, und das 2006 gebaute, elegante Museo dell\'Ara Pacis in Rom, einer weissen, fast abstrakten Hülle um den römischen Friedensaltar des Augustus aus dem Jahre 13 n.C. Und eben das 2007 eröffnete Arpmuseum, das, hoch am Hang über dem Bahnhof Rolandseck gelegen, zu einer zeitgenössischen, weissen Ikone des romantischen Rheintales geworden ist.
Richard Meiers Architektur ist "ein Gewebe weißer Flächen, heftigen Lichtes und abstrakter Form", wie der Architekturhistoriker Charles Jencks sie einmal beschrieb. Das blendende Weiß ist seit seinen Anfängen sein Markenzeichen. "Weiß ist für mich die schönste Farbe.
Die Farbe, die das natürliche Licht am besten reflektiert. Die Weißheit von Weiß ist ja niemals nur weiß. Weiß wird durch das Licht permanent
verändert.Vor einer weissen Oberfläche läßt sich das Spiel von Licht und Schatten, von Flächen und Einschnitten am besten verstehen".
Meiers Bauten suchen Transparenz und die Entmaterialisierung der Konstruktion. Als Gefäße des Tageslichtes leben sie von der Struktur seiner Schatten, die sich als dunkle Linien, als Muster, als Umrisse, als Gitter und Netze auf Wänden und Böden abzeichnen. Aber leider ist der Lichthunger von Meiers Architektur gerade in seinen Museen ein grosses Problem. Aus konservatorischen Gründen gehen Verschalungen und Rolladen beim geringsten Lichteinfall herunter, verbannen die Sonne, nach Le Corbusier" die Dirigentin der Schatten", aus den Räumen und tauchen sie in ein graues Einheitslicht.
Die noble Schönheit und die kommunikative Offenheit von Meiers Architektur machen sie nach den vielen Jahrzehnten, in denen er so und nicht anders baute, in gewisser Weise zeitlos und klassisch.
Diese Anmutung führte bei seinem Entwurf für das Beethovenfestspielhaus in Bonn 2010, wo er unter die vier Preisträger kam, zu wütenden Protesten. Man nannte seinen Vorschlag langweilig und plädierte für die formale Sensation. Leider vergaß man dabei, daß Baukunst, die diesen Namen verdient, selten aufreizendes Feuerwerk ist.