Ich bin 1942 in Westfalen als einziges Kind eines kleinen Angestellten geboren und war die erste in der Familie überhaupt, die eine höhere Schule besuchte. Meine Mutter hat nie eine Ausbildung erhalten und wurde mit dreizehn zum Arbeiten in eine fremde Familie geschickt. Mein Vater war ein niedriger Angestellter. Ich habe die höhere Schule durch- laufen mit dem Ziel, Dolmetscherin zu werden. Nach dem Abitur, 1962, bin ich als Aupair-Mädchen nach Cambridge gegangen, um Englisch zu lernen. Nach der Rückkehr in die Bundesrepublik habe ich in Köln meinen englischen Dolmetscher gemacht. Zu diesem Zeitpunkt war ich allerdings bereits entschlossen, nicht weiter Sprachen zu studieren, da ich sie nicht mehr als Ziel, sondern vielmehr als Mittel bei einem Beruf ansah. Deswegen begann ich in Köln mit dem Archäologiestudium. Auf dieses Fach bin ich durch Zufall gestoßen, weil ein Freund behauptete, das sei genau das richtige für mich.
Ich habe mit Philosophie und Gotik angefangen, habe dann Alte Geschichte belegt und im fünften Semester mit Klassischer Archäologie begonnen, Nebenfach Ägyptologie. In diesen Fächern habe ich dann auch promoviert. Studieren konnte ich, solange ich wollte, denn mein Studium habe ich selbst finanziert. Das Geld dazu verdiente ich durch Unterricht an der Berlitz-Schule. Meine Eltern weigerten sich nämlich, ein derart exotisches Studium, wie sie meinten, zu fördern. Sprachen waren für sie etwas Reelles, unter Archäologie konnten sie sich nichts vorstellen. Ich habe sechzehn Semester studiert und alles gehört, was mir interessant erschien. Die letzten sechs Semester hat mich die Studienstiftung des Deutschen Volkes gefördert und mir ein Auslandsstipendium an der Universität in London finanziert. Es war einer dieser glücklichen Zufälle in meinem Leben, daß ich dieses Stipendium bekam, denn mit ca. 600 Mark konnte man damals sowohl der Bundesrepublik als auch in England sehr gut leben.
Haben Sie sich an der Universität wohl gefühlt, und hätten Sie gern nach Ihrer Promotion wissenschaftlich gearbeitet?
Ja, aber ich hatte den falschen Lehrer. Er war seinen Kollegen aus vielen Gründen ein Dorn im Auge, und deshalb waren auch seine Studenten nicht sonderlich gesucht. Sie müssen sich vorstellen, daß der Clan der Archäologen in jedem Lande ein überschaubarer Club ist, in dem jeder jeden kennt und – angeblich – auch immer alles über den anderen weiß. Mir unterstellte man ein Verhältnis mit meinem Professor und begegnete mir mit entsprechender Skepsis. Dabei mochte ich ihn nur sehr – fast wie einen Vater – und bewunderte ihn. Das Mißtrauen mir gegenüber machte sich auch an meiner Dissertation fest, die vom wissenschaftlichen Ansatz her sehr breit angelegt war und sich nicht auf ein enges Thema konzentrierte, wie es damals Mode war. Natürlich hätte ich nach der Promotion gern eine Assistentenstelle angenommen, aber damals waren Frauen auf Assistentenstellen durchaus nicht die Regel. Die Aufklärung der 68er-Bewegung ist an den Archäologielehrstühlen damals weitgehend vorbeigegangen. Es waren und sind exotische Zirkel.
Sie haben es also sehr bedauert, keine Assistentenstelle zu bekommen?
Ja. Ich hätte für mein Leben gern wissenschaftlich gearbeitet. Die Arbeit an der Uni als Arbeitsort hätte mir gelegen. Und mit dem Übersetzen von ägyptologischen Texten und mit archäologischer Forschung, allerdings nicht mit Ausgrabungen, hätte ich mich gern ein Leben lang beschädigt. Heute bin ich aus dem Fach völlig draußen und übersetze nur noch ab und an zum eigenen Amüsement einen Hieroglyphentext, um das nicht auch noch völlig zu vergessen.
Und wie sind Sie dann an Ihre erste Stellung gekommen?
Aufgrund der geschilderten Umstände mußte ich mich fragen, was ich nach der Promotion tun sollte. Praktisch hatte ich ja wenig gelernt. Was kann man schon mit einem Archäologiestudium in der freien Wirtschaft anfangen? Die Bundesrepublik ist ja nicht England, wo auch das exotischste Studium als Training des Geistes und damit als Voraussetzung auch für ganz realitätsnahe und praxisbezogene Berufe akzeptiert wird.
Bei meinen Überlegungen stieß ich damals in der „Zeit“ auf eine Stellenanzeige des BDA. Der BDA suchte eine Referentin für »Information, Dokumentation und Öffentlichkeitsarbeit«. Ohne genau zu wissen, was sich hinter diesen Formulierungen verbarg, dachte ich: Information, klar, kannst du. Öffentlichkeitsarbeit, schaffst du auch, jeder, der reden kann, kann das. Dokumentation, na, das hast du doch an der Uni jetzt sechs Jahre lang gemacht. Ich habe mich also beworben und weiß bis heute, ehrlich gesagt, nicht, wieso ich die Stellung bekommen habe. Der BDA, bis dahin eine kleine Geschäftsstelle, wollte ein wissenschaftliches Sekretariat aufbauen, auch ein Ergebnis der Endsechziger-Diskussion. Insofern war man vielleicht auf Universitätsabsolventen besonders scharf. Außer mir wurden noch ein Soziologe und ein Architekt eingestellt.
Beim BDA bin ich dann hängengeblieben – zunächst eben als Referentin, dann als Redakteurin, dann als Bundesgeschäftsführerin.
Wie war der Anfang in dem neuen Job?
Schwierig, denn ich hatte von praktischer Tätigkeit wirklich keine Ahnung. Ich hatte Angst vor Leuten. Die schiere Vorstellung, eine Sekretärin zu beschädigen, also jemandem zu sagen, was er für mich tun solle, jagte mir Angst ein. Dann war ich das Arbeiten mit Terminen nicht gewohnt; die ganze Arbeit im Büro mit anderen zusammen fiel mir schwer. Das Wichtigste jedoch: Ich war Archäologin und wurde plötzlich mit Architektur konfrontiert, von der ich nichts wußte. Zwar war ich mit einem Architekten verheiratet und hatte insofern eine gewisse Affinität zu dem Fach, doch das langt eben nicht, wenn man plötzlich Architektur verkaufen soll.
Hat Ihr Mann Ihre Entscheidung, zum BDA zu gehen, gefördert?
Durchaus, aber ich hätte diese Stellung auch ohne seine Unterstützung angenommen. Ich habe die Anzeige gesehen und mir gesagt: Das machst du. Mit einer normalen Portion Intelligenz kannst du das. Und genauso war es dann auch
Wie sind Sie mit der Anfangssituation umgegangen?
Ich habe zunächst mit einer gewissen Sturheit drei bis vier Monate lang nur zugehört. Pressemitteilungen konnte ich aus Mangel an Wissen nicht machen. Strukturelle Veränderungen konnte ich dem BDA nicht vorschlagen, solange ich seine Struktur nicht kannte. Also lesen, hören, nachdenken. Diese Zeit ließ man mir auch. Jedem war klar, daß eine Archäologin nicht innerhalb eines Vierteljahres zu einer überzeugenden Architektur-Pressesprecherin werden würde. Der einzige, der dieses nicht gelten lassen wollte, war mein eigentlicher Vorgesetzter im Präsidium des BDA. Er meldete bereits nach sechs Wochen Kritik an mir an, und zwar mit Kopie an alle Landesvorsitzenden in der Bundesrepublik. Er schrieb – und ich weiß das noch sehr genau, weil es mich damals ungeheuerlich mitgenommen hat, daß jemand dies über mich, die er kaum kannte, – schrieb, ich sei „eine Fehlbesetzung und hätte die ausgelatschten Allüren eines Bonner Ministerialdirigenten«. Dieser Angriff auf mich, sechs Wochen nach der Einstellung, war so rüde und unqualiziert, daß für jeden erkennbar war, daß dies wohl kein wirkliches Urteil darstellen könne, sondern daß der Mann mich schlichtweg nicht mochte. Jedenfalls hatte er sich mit seiner Kritik selbst disqualifiziert und mußte nun seinerseits gehen. Das schien zwar eine Art von Sieg für mich zu sein, aber ein sauerer. Denn diese erste frontale Attacke in meinem Berufsleben auf mich hat mich mitgenommen und eigentlich sogar jahrelang beschädigt. Ich konnte auf sie nicht reagieren, mir fehlte jede Erfahrung im Umgang mit solchen Menschen.
Drei Jahre habe ich als Referentin gearbeitet. Dann kündigte der BDA dem Chefredakteur seiner Zeitschrift, weil das Geld, ihn zu bezahlen, nicht mehr vorhanden war. Es wurde auch überlegt, die Verbandszeitschrift gänzlich einzustellen. Sie war damals ein ziemlich heruntergekommenes Blatt, um dessen Verschwinden es wirklich nicht schade gewesen wäre. Aber irgend jemand kam auf den Einfall, ich als Referentin für Öffentlichkeitsarbeit könnte doch probieren, die Zeitschrift zu retten. Deswegen übertrug man mir, zusätzlich zu meiner bisherigen Tätigkeit, die Verantwortung für die Redaktion. Da saß ich nun und hatte nach drei Jahren, in denen ich mich in eine neue Tätigkeit eingearbeitet hatte, wiederum eine neue Stellung. Nicht daß es mich nicht gereizt hätte, mich mit dem Schreiben und Organisieren von Artikeln zu beschädigen, die Frage war nur wieder, mich in ein total neues Feld einzuarbeiten. Ich konnte zwar inzwischen ein wenig schreiben und kannte mich aus, aber eine Zeitschrift zu machen war eine unbekannte Größe. Wie entwickelt man Themen, woher nimmt man Autoren, was hieß überhaupt drucken – alles unbekannte Faktoren. Doch mit Hilfe einiger engagierter Leute, mit ein wenig Geld, einem guten Designer haben wir dann ein neues inhaltliches Konzept entwickelt und auch umgesetzt. Heute ist die Zeitschrift, die ich immer noch mache, kein Verbandsblättchen mehr, sondern eine gesuchte Architekturzeitschrift. Sie hat es als Verbandszeitschrift mit einem festen Bezieherkreis einfacher als andere Architekturzeitschriften auf dem Markt, die sich um Abonnenten schlagen müssen. Trotzdem ist es nicht einfach, mit wenig Geld, mit wenig Personal, mit viel Improvisation und Phantasie jeden Monat eine gute Ausgabe herauszubringen.
Die Redaktion damals zu übernehmen und die Zeitschrift gut zu machen, hieß, die Öffentlichkeitsarbeit aufzugeben. Die Zeitschrift forderte die ganze Frau und eine Sekretärin. In dieser Konstellation habe ich bis 1978 gearbeitet.
Dann wurde ich zusätzlich Bundesgeschäftsführerin. Diesmal auf eigene Initiative hin. Zwischendurch jedoch hatte mich noch einmal die Sehnsucht nach der Uni gepackt. Es war jedoch nicht mehr das Fach Archäologie, was mich anzog, sondern die Architektur. Ich hatte mir vorgenommen, mich an einer Technischen Hochschule zu habilitieren, und kannte auch schon das Thema: »Symbole in der Architektur des zwanzigsten Jahrhunderts«. Ich mußte jedoch bald feststellen, daß ich für die wissenschaftliche Tätigkeit, die ich früher so geschätzt hatte, inzwischen gänzlich verdorben war. Sich auf ein Thema konzentrieren zu müssen, das wochenlange Sitzen über Büchern, das kontinuierliche Arbeiten – das reizte mich nicht mehr. Mein Leben war, hier einen Artikel zu organisieren, dort mit Leuten zu sprechen, hier etwas zu schreiben, dort einen Text zu redigieren, hier einen Kongreß zu besuchen, dort eine Moderation zu machen. Dieses Hin und Her, dieses sich Immer-wieder-neu-Einstellen auf andere Situationen und Personen – dies reizte mich mehr als die wissenschaftliche Arbeit. Ich habe die Habilitation dann aufgegeben, überlegte jedoch, was ich außerhalb der Redaktion, die ich in Halbtagstätigkeit betreute, noch machen könnte. Zu diesem Zeitpunkt ging der Bundesgeschäftsführer des BDA – ein Jurist der jahrelang mein Vorgesetzter gewesen war – weg. Seine Nachfolge reizte mich, obwohl nie zuvor eine Fachfremde, eine Nichtjuristin, eine Frau, auf diesem Posten gewesen war. Nun, die Verantwortlichen im BDA kannten mich waren aber über meine Bewerbung dann trotzdem sehr überrascht. Und so ganz wollten sie sich auf mich auch nicht einlassen: Man teilte die Stelle des Geschäftsführers, ich wurde Geschäftsführerin für Öffentlichkeitsarbeit, Pressewesen und Publikationen und ein Jurist mein gleichberechtigter Partner. Als ihm wegen Unfähigkeit nach einem halben Jahr gekündigt wurde, blieb ich alleinige Geschäftsführerin und habe einen Juristen zu meiner Hilfe dann als normalen Angestellten eingestellt.
Wie war die Reaktion auf einen weiblichen Geschäftsführer in Bonn?
Man war überrascht. Denn im Bonner Regierungsviertel hat man es vorwiegend mit Männern zu tun. Von den 528 Abgeordneten sind rund 90 Prozent Männer; der Anteil der Frauen hat erst nach dem Einzug der Grünen in den Bundestag zugenommen. Auch die Verbandsgeschäftsführer, die Journalisten, alles, was in Bonn Lobby macht, rekrutiert sich aus der Männerszene. Das ist übrigens unter Architekten nicht anders. Der BDA hat als Mitglieder fast 4000 freiberufliche Architekten; freiberufliche Architektinnen, die nicht nur als Ehefrau im Büro des Mannes mitarbeiten sondern allein verantwortlich tätig sind, sind nach wie vor nur in geringer Zahl vorhanden. Trotzdem war es nicht schwer, sich in der Männerwelt zurechtzufinden. Man hat mich eigentlich nur fair behandelt. Und sicher hätte ich auf diesem gutbezahlten Posten, der zudem wirklich interessant war, 65 Jahre alt werden können. Zudem hatte ich die Alleinverantwortlichkeit für die Politik des BDA in Bonn; diese Politik habe ich zwar nicht so wahrgenommen, wie einige Lobbyisten dies von mir erwartet haben, trotzdem glaube ich, dem BDA in Bonn einen guten Ruf und das Renommee für ein gewisses Niveau geschaffen zu haben.
Die Arbeit hat mir Spaß gemacht. Was mir keinerlei Spaß gemacht hat, ist das, was in meinen Augen der unangenehmste Teil der Lobbyisten-Tätigkeit ist, das Auf-Partys-Herumstehen, Sich-sehen-Lassen, hier mit jemand Smalltalk machen, dort sich mit jemandem zum Mittagessen treffen. Dazu gehört eine Mentalität, die ich nicht habe. Ich verfasse lieber eine geharnischte Kritik an der Einstellung der Bundesregierung zur Honorarordnung für Architekten, als daß ich versuche, mit Tricks und Überredungskunst jemanden für diese Sache zu gewinnen. Wenn überhaupt, so hat mir dieser Mangel an Fähigkeiten – einige Leute sahen ihn als sehr gravierend an – Kritik von außen und den Ruf von Hochnäsigkeit und von Arroganz eingetragen.
An diesem Punkt bin ich vielleicht doch stärker die Wissenschaftlerin geblieben, als ich gedacht hatte. Überall seine Finger und Füße drin zu haben, geht mir ab.
Hat sich dieser Mangel an bestimmten Qualitäten Ihrer Arbeit negativ ausgewirkt?
Das kommt auf die Einstellung der Leute zur Lobbyisten-Tätigkeit in Bonn an. Der BDA ist Mitglied des Bundesverbandes der Freien Berufe, der von einem der rührigsten Animateure in Bonn gemanagt wird. In den Augen dieses Mannes war ich unkooperativ, unfähig zur Leitung eines Verbandes, unflexibel. Mir dagegen war wichtiger, den BDA als kritischen Verband zu etablieren, der, mitverantwortlich für die Gestaltung unserer Umwelt, kritisch Stellung nimmt zu Fragen des Planens und Bauens. Es erschien mir vorteilhafter, einen Verband inhaltlich zu profilieren, als ihn politisch – mit minimalen Ergebnissen – zu verkaufen. Man muß wissen, daß es nur wenige Abgeordnete gibt, die von Architektur überhaupt eine Ahnung haben, sie für wichtig halten und sich insofern auch für Architekten und ihre Belange einsetzen. Für die Politiker ist die Gruppe von ca. 65000 Architekten – also nur ein kleiner Teil potentieller Wähler – nicht sehr interessant.
Würden Sie sagen, daß Ihre Arbeitsweise eine Ausnahme darstellte?
Ja. In Bonn stehen Verbandsvertreter und Politiker nicht unberechtigterweise in dem Verdacht, mit kleinen Geschenken und Aufmerksamkeiten bestechlich zu sein. Das war und bin ich nicht. Ehrlicherweise muß ich auch zugeben, daß kaum jemand versucht hat, meine Meinung mit nicht sachlichen Mitteln umzudrehen. Das mag ganz einfach damit zu tun haben, daß ich weit und breit das einzige weibliche Wesen war und die Beschäftigung mit mir die Herren ohnehin herausstellte.
Darüber hinaus muß ich jedoch grundsätzlich einmal feststellen, daß ich aus der Tatsache, daß ich als Frau fast ausschließlich mit und unter Männern gearbeitet habe, nur Vorteile hatte. Ich bin wirklichen Benachteiligungen, Diskriminierungen durch Männer nie ausgesetzt gewesen. Ich habe bis auf diesen ersten Herrn im BDA eigentlich nur Unterstützung von Männern erhalten. Unterstützung, Förderung, ja, ich würde so weit gehen zu sagen, daß die Tatsache, Frau zu sein, mir sogar Vorteile verschafft hat, die Männer nicht hatten. Das mag nicht zuletzt dank eigener Eigenschaft en so gewesen sein, die jedoch mit Frau-oder-Mann-Sein nichts zu tun haben. Ehrlichkeit, Radikalität, Glaubwürdigkeit, Initiative, Phantasie, kreative Unzufriedenheit. Wenn ich sagen müßte, wo ich anders war als Männer in vergleichbaren Positionen, so müßte ich zugeben, daß ich nicht besser als Männer in der gleichen Situation war, sondern vielleicht nur schneller und zupackender.
Meinen Sie also, daß nur der Erfolg zählt?
Schwer zu sagen. Ich glaube, daß der Erfolg meiner Tätigkeit mit meinen bereits genannten Eigenschaften zu tun hat. Ich habe meine Umgebung immer durch unkonventionelles Auftreten überrascht, durch Ehrlichkeit verblüfft, durch Phantasie angeregt. Diese Eigenschaften mußte ich deshalb verstärkt pflegen, weil mir das Handicap, inhaltlich von Architektur aufgrund eines nicht vorhandenen Studiums immer weniger zu verstehen als die Menschen, die ich vertrat, jederzeit schmerzlich bewußt war. Diese Tatsache war ja auch allgemein bekannt, so daß mir der Hinweis, daß ich zu bestimmten inhaltlichen bzw. technischen Dingen nicht Stellung beziehen könne, nie als Vorwurf angedient wurde. Daß ich trotzdem in manchen Situationen bluffen mußte, Bluff zu einem gewissen Perfektionsgrad zu entwickeln gezwungen war, blieb nicht aus.
Wie lange hat es gedauert, bis Sie wirklich das Gefühl hatten, Sie seien Ihrem Job gewachsen?
Mit der Zeit zunehmender Erfahrung stellte sich eine große Sicherheit und Selbstverständlichkeit ein. Trotzdem habe ich aufgrund des nicht
vorhandenen Architekturstudiums nie das Gefühl verloren, daß ich dilettiere. Ich habe eine gründliche wissenschaftliche Ausbildung genossen; die führt dazu, daß ich bei jedem Artikel, bei jeder Pressemitteilung, bei jeder Vorbereitung zu einem Gespräch das Gefühl hatte, nicht genug recherchiert oder nachgedacht zu haben. Vieles von dem, was ich in den sechs Jahren meiner Geschäftsführertätigkeit getan habe, erschien und erscheint mir auch noch heute zu wenig fundiert. Ich habe gerade in den ersten Jahren immer die Angst in mir herumgetragen, daß ich irgendwann einmal aufgrund mangelnden Wissens unheimlich auf die Schnauze falle. Mit zunehmender Routine verliert sich diese Angst ein wenig. Doch, wie gesagt, eine leichte Unsicherheit war immer da. Andererseits war mir natürlich auch rasch bewußt, daß meine Anforderungen sowohl an mich selbst als auch an andere sehr hoch, vielleicht zu hoch gehängt waren. Die positive Seite meiner bleibenden Unsicherheit, die ich nach außen allerdings zu verbergen wußte und weiß, ist eine permanente innere Unruhe, die mich treibt, die mich aufgeschlossen, neugierig macht, nach immer neuen Ansätzen für mein Handeln suchen läßt. Das Ausruhen auf Erfolgen finde ich eine langweilige Sache. In gewisser Weise war und ist meine Unsicherheit ein Stimulus und eine Motivation.
Und Sie haben nie Ressentiments oder Skepsis von Männern Ihnen gegenüber gespürt?
Doch, aber das bezog sich mehr auf Unerfahrenheit in der Tätigkeit bzw. auf andere Ansichten, die ich gegenüber meinen Partnern vehement vorgetragen habe. Mit der Tatsache, daß ich eine Frau bin, hatte das wenig zu tun.
Ich wirke allerdings sehr groß, sehr selbstsicher, sehr überzeugend. Das hat mit Erscheinung und Auftreten zu tun und hat mir immer geholfen. Dieses Aussehen, dieses Auftreten, nicht unbedingt sehr ausgeprägt unter Frauen, habe ich weder antrainiert noch unter Druck entwickeln müssen. Es ist mir wohl in die Wiege gelegt worden, und ich habe es weidlich benutzt. Hinzu kommt, daß ich mit Worten und Sprache recht gut umgehen kann. Meine leicht ironische und spöttische Art ängstigt manche Männer eher, führt jedenfalls nicht dazu, daß man sich mit mir leicht anlegt.
Ich finde, daß man zur Ehrenrettung der Männer einmal bemerken muß, daß sie in den letzten zehn Jahren einiges dazugelernt haben. Die Aufgeschlossenheit der Männer, mit Frauen zusammenzuarbeiten, ist gestiegen. Männer haben sich daran gewöhnt, daß Frauen Positionen einnehmen, die früher ausschließlich ihnen vorbehalten waren. Allerdings fällt es mir schwer zu entscheiden, was hier echte Entwicklung, was Anpassung an eine entsprechende politische Situation ist. Das eine Märchen allerdings, was vornehmlich Männer in die Welt gesetzt haben dürften, hat sich in meiner bisherigen Berufstätigkeit immer nur als falsch erwiesen: daß nämlich Frauen nicht mit Frauen zusammenarbeiten können. Ich habe nie so gut und so intensiv mit Männern gearbeitet, wie ich dies mit Frauen getan habe. Keine Rede von Intrigen, kleinkarierter Privatwäsche, Wehleidigkeit usw.
Waren Sie mit sich und der Art und Weise, wie Sie Ihre Tätigkeit ausgeübt haben, ganz glücklich?
Nein. Man muß einfach sehen, daß man sich nicht ungestraft in Situationen, in Einflüsse, hineinbegeben kann und hoffen bzw. sicher sein kann, daß sie einen nicht verändern. Ich habe mich selbst häufig wie auf einer Bühne agieren sehen. Ich sah, daß ich Eigenschaften ausspielte, die ich lieber ein wenig verlernt als gefördert hätte; ich beobachtete, daß ich – durch die Situation gezwungen, aber auch herausgefordert – Virtuosität vorgetäuscht habe, jongliert habe. Was ich eigentlich nicht besonders schätze. Nicht zuletzt fühlte ich mich häufig zu einseitig beurteilt: die kompetente, die harte Frau Flagge, die selbstsichere, gewandte. Und hinter diesem Image sah ich viele Eigenschaften verkümmern, die nicht gefördert werden, die ich aber hatte und habe.
Ich glaube, daß jeder, der einigermaßen sensibel ist, sich gerade auf dem Bonner Parkett die Frage vorlegen muß, wieweit er in dieser Käseglocke, die das Regierungsviertel örtlich wie inhaltlich darstellt, mitmischt und sich verbiegen läßt.
Glauben Sie, daß ein Mann ähnliche Konflikte haben kann?
Ich kann das für die Männer nur hoffen. Wer sich selbst in einer bestimmten Situation nicht gleichzeitig kritisch und distanziert sehen kann, macht sich so abhängig von den täglichen Vorkommnissen, daß ein Verkümmern, meiner Meinung nach, unausweichlich ist. Man muß, Mann oder Frau, gegenüber bestimmten Tendenzen des täglichen Arbeits-»Kampfes« Bollwerke setzen; im Privatleben sich davon absetzen; sich Freunde suchen, die einen anders sehen, anders ansprechen. Was mir immer in meiner Arbeit geholfen hat, auch dort, wo sie mir Eigenschaften abverlangte, die ich an mir nicht mag, war die Tatsache meiner Identifikation mit dem, was ich tat. Das machte mich engagierter und überzeugender als viele Männer, die ich getroffen habe. Mir war die Sache immer wichtiger als die Karriere, was die Männer, bei allem, was sie tun, wohl ständig stärker im Auge haben als Frauen.
Warum arbeiten Sie heute als freie Journalistin?
Ich habe vor vier Jahren noch einmal das getan, was ich eigentlich nach Beendigung meines Studiums auch getan habe: Ich habe mich in eine völlig unabgesicherte und für mich unüberschaubare Situation hineingestürzt. Wie ich bereits sagte, hätte ich den Verband auch noch zehn Jahre weiterführen können. Aber es gibt so ein inneres Gefühl, das einem sagt, wann es an der Zeit ist zu gehen. Ich hatte das Gefühl, ich ertrüge meine bisherige Tätigkeit nicht mehr so recht, aber auch das Gefühl, daß mich einige Leute gerne gehen sähen. Neugier auf anderes, Sattheit, es kam vieles zusammen. Zweierlei war für meine Entscheidung, mich freiberuflich in Bonn niederzulassen, von Bedeutung: Ich bin eine Einzelgängerin, allein am besten, schwierig im Team. Insofern blieben für mich nicht allzu viele Jobs übrig. Darüber hinaus wollte ich schreiben: länger an einer Sache, an einem Artikel, an einer Recherche dranbleiben, als mir das bisher möglich gewesen war. Ich hatte das Management ein wenig satt. Aber es stellte sich sehr schnell heraus, daß ich mich, was die Art des Arbeitens anging, getäuscht hatte. Hatte ich bisher auf fünfzig Hochzeiten gleichzeitig tanzen müssen, so mußte ich auch jetzt weiter tanzen, und zwar noch schneller und noch überzeugender als bisher. Als Ein-Frau-Journalistin sind Sie Ihre eigene Sekretärin, Sie müssen Akquisition betreiben und inhaltlich arbeiten. Keine leichte Sache. Ich hatte einige Verbindungen, aber die stellten sich als nicht so sicher heraus, wie ich vermutet hatte. Hinzu kam, daß Bonn für Fragen der Architektur und Stadtplanung eigentlich kein Pflaster ist. Hier wird Architektur unter den Gesichtspunkten Wirtschaft und Baurecht betrieben. Es war ein harter Anfang, und, wenn ich ehrlich bin, es ist heute noch genauso hart. Ich arbeite meine zwölf Stunden am Tag und habe höchstens einmal im Monat ein Wochenende frei. Zwar habe ich als Bundesgeschäftsführerin des BDA über zehn Jahre lang Freiberufler vertreten, so anstrengend hätte ich mir das Freiberuflerdasein jedoch nicht vorgestellt.
Bereuen Sie Ihre Entscheidung?
Nein, denn gleichzeitig liebe ich das, was ich tue. Ich bin allerdings gezwungen, meine Vorstellungen von dem ruhigen und langen Arbeiten, das ich so gern möchte, aufzugeben. Auch die Vorstellung, daß man als Freiberufler nur seinen eigenen Zielen und Vorstellungen folgt, ist ein Irrtum. Ich muß an allen Ecken inhaltlich Kompromisse schließen. Arbeiten unter Zeitdruck ist normal geworden; daß dies keinen Abstrich an Qualität bedeutet, davon wird selbstverständlich ausgegangen. Nein, bereut habe ich den Entschluß, freiberuflich zu arbeiten, nie. Allerdings – ich muß es dem BDA als Kompliment sagen –, so frei, wie ich heute bin, war ich auch in meiner Bundesgeschäftsführerinnentätigkeit. Die Vorstellung, in einer Behörde, auch in einer Rundfunkanstalt, die heute ja nichts anderes ist, zu sitzen, in eine Hierarchie eingebaut sein, macht mich krank. Dann lieber das angestrengte und gehetzte Leben, das ich heute führe. Wenigstens bin ich da meine eigene Herrin.
Hatten Sie als Jugendliche eine Vorstellung von Ihrem Leben? Wollten Sie eine Familie gründen? Wollten Sie immer berufstätig sein?
Ich hatte nie die Idee von Familie. Mir war von Anfang an klar, daß ich berufstätig sein wollte, allerdings hatte ich keine konkreten Vorstellungen von diesem Beruf. Ich habe dann trotzdem recht früh geheiratet, den ersten und besten in des Wortes schönster Bedeutung. Das glückliche Zusammenkommen war, daß auch er kein Familienleben im üblichen Sinne anstrebte. Die Frage nach Kindern haben wir zu unterschiedlichen Zeitpunkten unserer Ehe gründlich erörtert und festgestellt, daß wir beide aufgrund unserer familiären Erfahrungen keine Kinder wollen. Hinzu kam, daß wir uns beide keine Einschränkungen unseres Wander- und Reiselebens durch Kinder auferlegen wollten. Was die Vorstellungen eines konkreten Berufes anging, so haben sich die bei mir relativ spät entwickelt. Sie wurden gespeist von den Träumen meiner Mutter, die mich (wie ich selbst) Sprachen studieren und, telegen zwischen zwei Politikern stehend, den Rest meines Lebens schwierige politische Verhandlungen führen sah. Ein Bild, dem ich so mit siebzehn nachhing. Kaum jedoch eine konkrete Vorstellung.
Hatten Sie Vorbilder?
Nein, ich komme aus einem sozialen Umfeld, in dem es nur Ehefrauen und Mütter ohne jede Ausbildung gab. Ärztinnen, Juristinnen, Frauen, die aufgrund eines persönlichen Erlebens evtl. einen Eindruck hinterlassen hätten, kannte ich nicht. Als weibliche Vorbilder für mich wären höchstens Lehrerinnen an der eigenen Schule in Frage gekommen – die waren jedoch alles andere als nachahmenswert.
Wie haben andere Frauen auf Sie reagiert?
Die meisten positiv, wie ich schon sagte. Die einzigen Frauen, die auf mich negativ reagiert haben, waren die Ehefrauen der Männer, mit denen ich zusammenarbeiten mußte. Der Grund war wohl ein gewisser Neid, weil ich mit diesen Männern derart intensive Auseinandersetzungen führte, wie sie die Ehefrauen zu Hause wohl nicht erlebten. Die gemeinsame Herausforderung, das Suchen nach einer Lösung, die Diskussion vieler inhaltlicher Fragen hat mit einigen der Männer, mit denen ich zusammengearbeitet habe, zu wirklichen Freundschaften geführt. Schwierigkeiten? Ich habe sie, wenn überhaupt, nur mit solchen Frauen, die ihrer selbst nicht sicher sind, die sich auf Titel oder sonstige Meriten etwas einbilden, die nicht direkt und ehrlich sind. Da reagiere ich allergisch und die andere Frau ebenso.
Könnten Sie jungen Frauen irgendwelche Ratschläge geben?
Daß die beste Ausbildung gerade gut genug ist, daß man sich durch nichts und keinen einschüchtern lassen sollte, seinen Weg zu gehen, daß man keine Erfahrung vermeiden und aus jeder das Beste machen sollte. Sprachen lernen. Neugierig bleiben. Vor allen Dingen den Menschen im Auge behalten, mit dem man arbeitet und der man selbst ist.
Einen Job verlassen oder einschränken, dort, wo er einen zu verbiegen beginnt in eine Richtung, die man nicht will. Ehrlichkeit auch dort, wo sie nicht erwünscht ist. Keine Kompromisse, nicht die die eigene Glaubwürdigkeit aufs Spiel setzen. Um Himmels willen keine Anpassung an stromlinienförmige Erwartungen der Umwelt.
Aus: Ute Reinhart, Sie ist der Boss. Karriere-Frauen berichten
Knaur Verlag 1988