Wirklich willkommen?
Der Titel dieses Aufsatzes ist eine Variation von Jenny Erpenbecks 2015 erschienenen, eindringlichen Buch über Flüchtlinge aus Afrika „ Gehen, ging, gegangen“. Denn viele Flüchtlinge, die sich auf welchen Wegen und woher auch immer nach Europa aufgemacht haben, sind inzwischen hier. Viele von ihnen sind traumatisiert von der Situation in ihrer Heimat und Erlebnissen auf der Flucht, nicht selten ausgeraubt von Schleusern, weitgehend ohne Hab und Gut, nur mit dem, was sie am Körper tragen. Sie haben größtenteils ihre Familien zurück gelassen, und viele wissen häufig nicht, wie es den Zurückgebliebenen geht und ob sie noch leben.
Gekommen sind sie, aber waren sie in Europa auch willkommen? In vielen Mitgliedstaaten jedenfalls nicht; in der Folge droht Europa nun, an der Unmöglichkeit einer gerechten Verteilung von Flüchtlingen zu zerbrechen. Auch Deutschland und Schweden, die bisher die meisten Menschen aufgenommen haben, sind auf dem Rückzug, dies auch weiter zu tun.
Flüchtlinge willkommen, das bedeutet ja nicht nur, sie zu beherbergen, sie nach ihrer Flucht und Ankunft mit dem Nötigsten zu versorgen und zu betreuen. Es bedeutet auch und vor allem, Flüchtlinge als Menschen und nicht nur als temporäre Notfälle zu akzeptieren, ihnen den Zugang zum Alltag zu erleichtern und ihnen Bildungs- und Berufschancen zu eröffnen. Es bedeutet, sie nicht zu bevormunden und ihnen die Chance weitgehender Eigenständigkeit zu belassen.
Eine spezielle Architektur, die diese Menschen willkommen heißt, braucht es nicht, wie der Architekt Manuel Herz zu Recht schreibt. Er erforscht seit über zehn Jahren die Strukturen von Flüchtlingslagern. Wichtiger als der physische Raum ist die Haltung gegenüber der Individualität von Flüchtlingen. Es sind Menschen, die gekommen sind; Offenheit und Respekt sind für sie notwendiger als besondere Bauten. „Heimat“ schafft keine noch so gute Unterbringung, wenn der „Druckkessel der Erstaufnahmelager“ bei einigen Flüchtlingen ein Jahr und länger andauert. Wo zermürbendes Warten und Langeweile in den Gemeinschaftsunterkünften den Alltag prägen, wo terrorisierte Menschen, die vor allem Ruhe und Privatheit brauchen, über lange Zeit mit über hundert Menschen in einem Raum leben müssen, da verstärkt sich laut einer Studie der Boschstiftung die Aggressivität und die Gewaltbereitschaft vieler Menschen. Jede spätere Integration wird dadurch erschwert.
Wo sind die Architekten?
2015 hätte das Jahr der Architekten und ihrer kreativen Initiativen werden können. „Frontberichterstatter solllen sie sein“, fordert der Oberkurator der Biennale in Venedig, Alejandro Aravena, für das Selbstverständnis von Architekten. Sie hätten helfen können, aus Schwierigkeiten und Hürden des Flüchtlingsbauens nutzbare Chancen zu machen. Denn sie können ja nicht nur großartige Bauten entwerfen, sondern auch einfach bauen, sie können simple Quadratmeterzahlen in menschenwürdige Unterkünfte umwandeln, sie sind imstande, verdichtet zu bauen, sie kennen sich mit Standardisierung aus, mit Kostensenkungen durch Vorfabrikation. Und viele von ihnen wissen aus konkreter Erfahrung, wie man Billigslums vermeidet. Aber die meisten Architekten schweigen zum Bauen für Flüchtlinge. Dabei haben japanische Architekten wie Toyo Ito und Shigeru Ban 2011 nach dem dortigen Tsunami europäischen Architekten vorgemacht, wie man schnell und preiswert für eine grosse Menge Menschen Obdach schafft.
Statt von Architekten wird das Thema Bauen für Flüchtlinge bei uns von einer unheiligen Allianz aus Investoren, Managern, Immobilienfachleuten und Politikern diskutiert. Die einen engagieren sich aus Gründen ihrer Wiederwahl, die anderen um Geld zu verdienen. Dabei treten die Menschen, um die es geht, nicht selten in den Hintergrund. Häufig erinnern die Debatten über Themen wie „Wohnungsbauoffensive“ an Kriegsberichterstattung, wie ein Journalist schrieb (Die Welt 8.12.15).
Neubauten oder Umbau?
Schneller, billiger und mehr bauen ist keine Lösung. Schnell lassen sich Neubauten, ohne die Standards zu senken, sowieso nicht errichten. Wenn ein Containerdorf in Berlin schon über ein Jahr für die Fertigstellung braucht, dann kann man daran die Güte einer Verwaltung ablesen und sich vorstellen, wie lange Zeit man für eine Siedlung braucht. Eine Bauverwaltung ist eigentlich nicht gewohnt, aus dem Stand heraus schnell zu bauen - obwohl viele Städte sich für die Flüchtlinge angestrengt und Großartiges auf die Beine gestellt haben. Und - so ein kundiger Fachmann, „das deutsche Baurecht ist gründlich; aber wenn es schnell gehen soll, dann wird es zur Bremse.“
Der Hunger von Gemeinden und der Bundesbauministerin verlangt nach soliden Neubauten nicht nur für Flüchtlinge, sondern auch für Durchschnittsdeutsche, die eine Wohnung suchen. Das ist im Prinzip ein löbliches Unterfangen, aber es ist langwierig und teuer. Kommt hinzu daß alle Verantwortlichen eine höllische Angst vor Fehlern der Vergangenheit wie Gettobildungen und Trabantensiedlungen haben, vor Billigwohnungen ebenfalls und daß sie Experimenten gegenüber abgeneigt sind.
Deshalb glaubt man auch, Standards nicht absenken zu dürfen. Das aber bedeutet im Durchschnitt grosse Flächen pro Person, den Bau von Kellern und den Nachweis von Stellplätzen, aufwendige Trittschalldämmung und Energieeinsparungsinvestitionen sowie keinesfalls industrielle Vorfertigung.
Der Architekt Philipp Meuser träumt im Gegensatz zu diesen Vorhaben von einer „Ästhetisierung des Unfertigen“ und von Rohbauten nur mit Heizung und den nötigsten Anschlüssen. Man kennt dergleichen Häuser von Aufenthalten im Süden; die Stähle ragen über Jahre in den Himmel, und die Eigentümer bauen erst weiter, wenn neues Geld da ist. Doch solche Bilder von Häusern sind in unseren Städten und auf dem Land kaum vorstellbar und auch nicht wünschenswert.
Meuser propagiert, daß die Flüchtlinge selbst entsprechend ihren Träumen und Möglichkeiten den Weiterbau vornehmen. Und zu Recht weist er darauf hin, daß man auch die Wohnwelten in den Herkunftsländern der Flüchtlinge studieren solle, ehe man blind Abertausende von Neubauten nach europäischem Muster hochzieht, die dann an den tradierten Gewohnheiten der Neuankömmlinge völlig vorbeigehen. Wenn später aus Flüchtlingen Bürger geworden sind, die andere Standards leben wollen, müssen sie eben umziehen.
Laut empirica, einem renommierten Wohnforschungsinstitut, müßte in Deutschland keine einzige Wohnung neu gebaut werden. Es gibt einen riesigen Leerstand, der durch Umbau neu belebt werden könnte.
Das Angebot reicht von Kasernen über ausgediente Krankenhäuser bis zu leerstehenden Büros. Allein in den 19 größten Bürovierteln Deutschlands stehen Flächen von 8 Millionen Quadratmetern leer. Deren Umbau dürfte preiswerter als Neubau sein. Kommt hinzu, daß die Nutzung des vorhandenen Raumes umweltverträglicher und nachhaltiger ist als neu zu bauen. Aber der Zugriff auf privates Eigentum bringt eine Fülle von Problemen mit sich, die hier jedoch nicht erörtert werden können.
Es gibt ferner jede Menge leerstehender Wohnungen in Deutschland. Die Zahlen variieren zwischen 1,7 Millionen und - laut empirica - .65o.ooo. Allein im Ruhrgebiet gibt es 35o.ooo leerstehende Wohnungen und Einfamilienhäuser. Fachleute rechnen vor, daß diese Reserve bei einem Mindeststandard und bei 12m2 pro Person für mindestens 4 Millionen Flüchtlinge reichen würde.Warum also Neubau?
Das Innenministerium des von Anschlägen und Übergriffen auf Flüchtlinge gebeutelten Landes Sachsen hat seit März 2015 ein Programm „Richtlinie Flüchtlingswohnungen“ aufgelegt, das die Sanierung von leerstehenden Wohnhäusern in historischen Innenstädten fördert. Das ist nicht nur eine kluge PR Strategie, es hilft auch den Städten allgemein. Mit Mitteln der „Städtebauförderung von Bund und Land“, schreibt Arnold Bartetzky, „unterstützt es die Rettung von Baudenkmalen, die mangels bisheriger Nutzungsperspektive von Verfall und Abriß bedroht sind, und stärkt damit die zum Teil erodierenden Stadtstrukturen“.
Auf diese Art und Weise bleiben die Flüchtlinge in städtischem Ambiente wohnen, wo die meisten von ihnen auch leben wollen.
Sie werden nicht in die Isolation leerer ländlicher Räume verbannt, wo sie ohne Behörden, Schulen, Supermärkte, Sporteinrichtungen, Arbeitsmöglichkeiten und bei schlechter Verkehrsanbindung zwar vielleicht menschenwürdig, aber kaum zukunftsträchtilg leben können.
Projekte
Vieles wird diskutiert, aber wenig ist bisher in Sachen Neubau für Flüchtlinge realisiert worden. Jörg Friedrich ist einer der wenigen deutschen Architekten, der sich mit seinen Studenten darum kümmert. Die von ihm entwickelte „Huckepackarchitektur“ (Die Welt 8.12.15) ist nicht nur schnell und preiswert zu errichten, sie ist obendrein auch ebenso einfach wie schön. Ferner haben seine Studenten Konzepte für die Bebauung von Flachdächern entwickelt, durch die langweilige Bauten sogar aufgewertet werden.
Ein anderes Büro, das sich Bauen für Flüchtlinge auf die Fahnen geschrieben hat, sind die Architekten Feldschnieders- Kister aus Bremen. Sie haben schon seit 2013 Erfahrung mit diesem Thema.
Ihre Containerdörfer in Rot und Grün in Bremen und bald auch an anderen Standorten sind alles andere als eine triste Zusammenballung
von vorgefertigten Unterkünften. Auch mit Massenunterkünften haben sie keine Ähnlichkeit. Dankwart Guratsch attestiert den um Innenhöfe gruppierten zweigeschossigen Häusern, die Geborgenheit vermitteln, sogar eine gewisse „Blockhüttenromantik“ (Die Welt 8.12.15).
Vergleichbar in der atmosphärischen Qualität ist eine Siedlung in Zürich, wo ein Containerdorf auf einer Industriebrache errichtet wurde, welches das Bedürfnis von Flüchtlingen nach Ruhe und Privatsphäre erfüllt.
Alle drei vorgenannten Projekte sind in der Stadtbauwelt 48/15 publiziert. Sie ist eine der wenigen Architekturzeitschriften, die sich erschöpfend des Themas theoretisch und praktisch angenommen hat. Die dort publizierten Beispiele machen deutlich, wie mit bescheidenen Mitteln, aber mit viel Phantasier und Mut angenehme Unterkünfte und alternative Wohnkonzepte für Flüchtlinge, Studenten und Menschen mit geringem Einkommen entstehen können - wenn man denn Neubauten will.