Auf alten Fundamenten

Eine Buchbesprechung

Um es vorweg zu nehmen: dieses Buch nimmt man liebend gern zur Hand, liest sich an den gut formulierten, kommentierenden Texten fest und bewundert die 25 Beispiele neuen Bauens im historischen Kontext in hervorragenden alten und neuen Fotos. In Zeiten zunehmend schnell gemachter Publikationen und oberflächlicher online Abhandlungen von Architektur ist diese sorgfältig gemachte Publikation, die eigentlich der Katalog einer GMP Ausstellung im Schlüsselbau der Moderne, dem Faguswerk in Alfeld von Walter Gropius, ist, eine Seltenheit.

In den Projekten und Texten geht es um neues Bauens in alter Umgebung und auf alten Fundamenten. Es geht um Tradition, die von Weizsäcker einmal so definierte: „ Tradition ist bewährter Fortschritt, Fortschritt ist weitergeführte Tradition“. Eine Gesellschaft lebt von den Erfahrungen, den Fähigkeiten, Kenntnissen und Werken ihrer Vorfahren.
Man mag sich von dieser Erkenntnis distanzieren, ohne sie leben kann man nicht. Aber auch das Alte war bzw. ist ja schon immer das Ergebnis von Entwicklung gewesen und keine unveränderliche Wahrheit, wie wir sie bei der Geschwindigkeit heutigen Wandels gern so interpretieren.

Es braucht schon eine sehr großes Büro, um auf 25 beeindruckende Projekte und Wettbewerbsentwürfe „aus einer Hand“ in Deutschland, in Europa und im Rest der Welt für eine Publikation zum Thema des Bauens im Kontext zurück greifen zu können. Aus einer Hand ist dabei als Metapher gemeint, denn GMP beschäftigt weltweit über 5oo Mitarbeiter in zehn Büros. Darüber hinaus ist das Büro eigentlich für andere Aufträge bekannt, nämlich für Flugplätze, Bahnhöfe, Sportstadien und Messebauten.

Wenn Architekturbüros die Veröffentlichung eigener Bauten betreiben, sollte man gewöhnlich das Ergebnis skeptisch betrachten; zu häufig fehlt die Distanz zum eigenen Werk, und die Verliebtheit in das eigene Oeuvre berührt den Leser nicht selten peinlich. Bei diesem Buch ist glaubhaft, was einer der Namensgeber des Büros - Volkwin Marg - für sich in Anspruch nimmt, nämlich „ die eigene Arbeit zu reflektieren“.
Assistiert und konkretisiert wird er dabei von einem der fundiertesten Architektur-Kritiker der letzten Jahrzehnte, Gerd Kähler.

Dieser erklärt den Architekten zu einem „Geschichtenerzähler“. Was er damit meint, ist folgendes: Bauen - ob im Kontext oder völlig neu - ist immer  das Weiterbauen eines Ortes. Es gibt keine Orte ohne Geschichte, aber häufig ist diese nicht mehr ablesbar oder bewußt.
Der Architekt, der an diesem Orte baut, muß sie ausgraben, interpretieren oder auch neu erfinden. Und am Ende steht - im besten Fall - „etwas, das dem Menschen und dem Ort etwas gibt, das alle besser macht,“ die Bewohner des Ortes, die Besucher, die Architekten.

Gebaute Orte, die persönliche und soziale Identität mit sich bringen, sind in unserer Zeit ein rares Gut. Ich habe sie in anderem Zusammenhang einmal „Ankerplätze der Seele“ genannt. Heidegger mein, daß Denken ohne Ortserfahrung unmöglich ist. Erst von konkreten Orten aus baut der Mensch seine Beziehung zur Welt auf.

Dieses Buch hilft beim Begreifen solcher Zusammenhänge.

 

Auf alten Fundamenten. Bauen im historischen Kontext.
Architekten von Gerkan, Marg + Partner
Hrg.Volkwin Marg, Gerd Kähler
2013, 304 Seiten, 200 Abb., gebunden, 20x30 cm, Dölling + Galitz Verlag. Pries: 49.90 E.