Hier Albanien

Eindrücke von einer Reise ins Unbekannte

Albanien ist für viele Europäer ein weißer Fleck auf der Landkarte. Aber bis auf die unmittelbaren Nachbarn, die seit Jahren zum Strandurlaub und zum Wandern kommen, auch, weil es sehr preiswert ist, fahren bisher wenige Touristen hierher. Doch vom Tourismus versprechen sich viele Albaner eine bessere Zukunft und die Chancen für einen erfolgreichen Kurzurlaub sind durchaus groß. Die Straßen sind neu und gut, beste Hotels sind zahlreich vorhanden und entstehen in großer Zahl neu, das griechisch und italienisch beeinflusste Essen schmeckt. Nur mit der Verständigung hapert es. Fremdsprachenkenntnisse sind kaum vorhanden, und den Touristen ist das Albanische ein Rätsel.

Die Natur und die Landschaft sind großartig, die größeren Städte quicklebendig mit einer großen Vielfalt an Bars und Restaurants. Was weitgehend fehlt sind Kultur- Angebote an alten Kirchen, Moscheen, Klöstern,  interessanten Museen, Sammlungen, Bibliotheken, intakten Dörfern und mittelalterlichen Stadtkernen. Natürlich gibt es Ausnahmen wie Berat, die sog. „Stadt der 1000 Fenster“, aber die alten Häuser sind zu verfallen, um in den Gassen lange zu flanieren. Und manche Museen wie das des Geburtshauses von Enver Hoxha in Gjirokaster, in dem eine ethnografische Sammlung untergebracht ist, sind schlicht langweilig.

Das dies der extrem isolationistischen und paranoiden Politik des kommunistischen Albaniens und seines Parteigründers und Staatschefs Enger Hoxhas seit der Mitte der 40iger zu verdanken ist, der das Land von 1943 bis 1985 führte, ist unzweifelhaft. Hoxha darf mit Stalin, Pol Pot in Kambodscha und mit Kim in Nordkorea durchaus in einem Atemzug genannt werden. „Die Zeit“ betitelte in ihrer Ausgabe vom 12.9. das Land weiter mit „Europas Nordkorea“, was unfair ist und so nicht mehr zutrifft.

Wer nach Albanien fährt, hat den Kopf auf Grund der Vergangenheit des Landes voller Erwartungen, um nicht zu sagen Vorurteilen. Diese legt man relativ schnell ab, denn weder erlebt man das Land als ärmlich noch  trifft man ausschließlich auf triste graue Wohnblöcke wie zu schlimmsten DDR-Zeiten. In Tirana, Bures und Vlora entstehen viele neue Wohnhochhäuser, Hotels und Bürobauten von keineswegs schlechter Qualität. Wer alles dies zahlt, ist allerdings nicht auszumachen. Der politische Zustand eines Landes ist eben an Straßen und Häusern nicht unbedingt abzulesen.

Der Führer auf unserer Reise durch Albanien und Mazedonien war zwar ein sehr netter Mann und gab einem das Gefühl, dass er über vieles gern sprach, aber nur ungern über den inneren Zustand seines Landes.
Zwar werden in Albanien die Täter der Diktatur heute noch weder benannt noch belangt, aber Redefreiheit gibt es. Sie scheint jedoch nur zögernd benutzt zu werden, weil das Misstrauen bei öffentlichen Bemerkungen noch weit verbreitet ist.

Natürlich ist die sozialistische Vergangenheit nicht völlig aus dem Blickfeld verschwunden. In Tirana vergammelt eine Betonpyramide, die Hoxhas Tochter entworfen hat und die zu den stadtbildprägenden Überresten des Personenkultes um Hoxha gehört, weiter vor sich hin. Sie soll seit Jahren abgerissen werden, hat aber bisher alle diesbezüglichen Versuche überlebt. Genauso geht es den fast 200.000 Kleinbunkern, die auf Befehl Hoxhas gegen mögliche Angriffe der Sowjetunion gebaut wurden. Diese Bunker stehen überall, in der Stadt, in Dörfern, im Gebirge. Sie begleiten einen auf Schritt und Tritt, überwachsen, verwittert, bemalt, in jedem Falle unzerstörbar. Mit den  dickwandigen Skulpturen, Zeichen der düsteren Vorzeit, muss Albanien wohl leben, denn sie zu beseitigen würde Unsummen kosten.
Daß Albanien stark vom alten Griechenland und Rom beeinflusst wurde, verraten archäologische Reste in Durres, wo ein großes Amphitheater gefunden wurde, und vor allem in Butrint. Der Vergleich mit Troja, der angeblich von Vergil stammt, ist aber wohl etwas weit hergeholt.
Butrint war seit dem 3. Jahrhundert v.C. unter römischer Herrschaft. Badehäuser, ein Gymnasium, Brunnenhäuser und ein Asklepiostempel sowie eine Akropolis lassen auf eine rege Stadt schließen, die ihre exponierte Lage für Handelsbeziehungen zu nutzen wusste.
Von der jahrhundertelangen Besatzung durch die Osmanen ist dagegen bis auf die zahlreichen Burgen und Festungen wenig übrig geblieben. Diese sind meist in ruinösem Zustand, bzw. man hat die Burgen wiederaufgebaut und renoviert. Aber jeden Tag eine Burg zu besichtigen ist nicht gerade der Höhepunkt einer Reise.

Albanien ist kein Land, in dem der Glaube und seine Architektur eine große Rolle spielen. Hoxha hat die meisten Kirchen, Klöster und Moscheen während seiner Amtszeit zerstören lassen. Und er hat seinem Volk jede Art Religion verboten.

Heute ist der Islam in Albanien zu 59% verbreitet, aber dieser Islam ist äußerst liberal. Männer und Frauen beten zusammen, man hält nichts vom Ramadan und trinkt Alkohol. Es gibt kaum Frauen, die Kopftücher tragen oder in ganzfigürlicher Verschleierung auftreten. Im Vergleich dazu wirken deutsche Großstädte geradezu muslimisch geprägt.

Allerdings bekennen sich eine beachtliche Anzahl der albanischen Muslime zu den sog. Bektaschis, einem im 13.Jahrhundert in Anatolien gegründeten Derwischorden. Früher war dessen Hauptsitz in der Türkei, seit einem Verbot Atatürks jedoch wurde er nach Albanien verlegt. Achteckige Bauten mit grünen Kuppeln, die sog. Tekke, machen die Gebetsstätten der Bektashi in der Öffentlichkeit erkennbar.

Albanien wird heute als Musterland für ein friedliches Nebeneinander der Religionen dargestellt. Wie lange diese Situation anhalten bleibt, ist völlig offen. Moscheen und Medresen stehen unter dem politischen und finanziellen Einfluss der türkischen Religionsbehörde Diyanet oder der Gülenbewegung. Sie gibt ihre Hilfe sicher nicht selbstlos.

Das Unesco Weltkulturerbe hat zahlreiche Denkmaler und Stätten in Albanien in seine Liste aufgenommen. Nicht alle sind großartige Sehenswürdigkeiten. Aber die ausgezeichneten Denkmäler geben dem Land neues Selbstbewusstsein, was es braucht. Nur manchmal fragt man sich, ob die Maßstäbe stimmen. So in Sveti Naum, einem 985 n.C. vom bulgarischen Zaren Boris I gestifteten Kloster. Seine Lage auf einem Hügel über dem Ohridsee ist großartig, der Zustand des Ensembles, in das ein modernes Hotel gebaut wurde, beachtet die alten Proportionen. Die kleine Kirche aus dem 16.Jahrh.mit ihren kostbaren Fresken allerdings droht kaputt zu gehen, weil täglich eine Unzahl von schwitzenden, halbnackten Menschen vom unweit gelegenen Badestrand in der Kirche ein wenig Abwechslung suchen. Überhaupt führt die einzige Erschließung vom Parkplatz über diesen Strand mit Tausenden von ausgezogenen Badegästen und billigen Souvenirständen. Niemand kontrolliert eine passende Haltung und Kleidung, und man muss nicht altmodisch sein, um sich peinlich berührt zu fühlen.

Kruje, das den Albanern als heilige Stadt gilt, weil hier ihr Nationalheld Skanderbeg den Truppen der Osmanen widerstand, ist eines der hübschesten Städtchen, die man in Albanien besuchen kann, aber weder liegt es heute noch „in der Einsamkeit der Berge“, so der Reiseprospekt, noch ist die rekonstruierte Festung bemerkenswerter als andere.

Tirana als Hauptstadt von Albanien, das mit 2,8 Mio. Einwohnern so groß wie Schleswig-Holstein ist, ist sicherlich die interessanteste Stadt für Besucher. Tiranas Herz, der riesige Skanderbeg Platz, ist – umgebaut – zum Mittelpunkt der Stadt und gesuchten Aufenthaltsort der Bewohner geworden.  Der im Bau befindliche Grüngürtel um die Stadt wird eine Freizeitattraktion werden, die es so bisher in Tirana nicht gab. Neue Projekte  müssen mit Vorsicht und Rücksicht in die Stadt eingefügt werden, um Wunden des Kommunismus zu heilen. Ausländische Architekten, zu denen Albaner größeres Vertrauen als zu den eigenen Baumeistern haben, sind da nicht immer eine gute Wahl. Vorbildlich sind hier Balles & Wilson aus Münster, die mit über 20 einfachen Projekten die Stadt Korca im Südosten prägen werden und mit Behutsamkeit und Sensibilität überzeugende Lösungen liefern.