Wer wie ich in diesem Jahr seine 29.Ayurvedakur in Sri Lanka gemacht hat ( vergl .“Öl auf dem Kopf ist nicht alles“, Vortrag aus dem Jahre 2013 ), der kann sicher einigermassen beurteilen, wie sich die älteste überlieferte Medizin in den letzten Jahrzehnten entwickelt hat. Seit über 30 Jahren habe ich mich immer wieder von Neuem für drei Wochen auf die ayurvedischen Lebensregeln und Behandlungen eingelassen, mit Leidenschaft und in der Überzeugung, daß mir eine Kur gut tut. das Gegenteil kann ich auch nach all den Jahren nicht wirklich vermelden, nur sind mir wachsende Zweifel an der ayurvedischen Ärzteschaft, an ihrer Medizin und an der Entwicklung von einer ganzheitlichen Medizin zu einer Wellnessbehandlung gekommen.
Vor allem in Deutschland ist Ayurveda zu einem sehr kostspieligen Luxussegment des Tourismus geworden, das mit der alten Medizin nur noch wenig zu tun hat. Es gibt inzwischen eine stattliche Anzahl von Hotels und Resorts, die einen hervorragendes Eindruck machen und deren Selbstdarstellung im Internet exquisit daherkommt. Deren Preise aber exorbitant sind.
Wer in Sri Lanka für eine dreiwöchige Panchakarmakur in einem Viersternehotel inkl. Flug ca. 3000 - 3600 EUR zahlt – bei 21/2 stündigen Behandlungen am Tag – der blättert für dieselben Dienste in Deutschland mindestens das Drei- bis Vierfache auf den Tisch.
Als ich vor 35 Jahren mit meinen ersten Kuren begann, wußte in Europa kaum jemand, was sich hinter dem Begriff Ayurveda – ayur= Leben, veda= wissen – verbarg. Wer sich damals dennoch auf diese alternative Naturmedizin in Sri Lanka oder Indien einließ und den eher spärlichen Berichten darüber glaubte, der konnte sich des Verdachtes nicht erwehren, dass er mit etwas Undurchsichtigem zwischen Esoterik und Zauberei konfrontiert werden würde. Die ersten Reisen bzw. Kuren hatten auch durchaus die Anmut eines Abenteuers.
In der Tat: die obligatorischen ärztlichen Untersuchungen am Beginn jeder Kur, die sog.Pulsdiagnose, die dem Arzt Auskunft über die „Krankheiten“ des Patienten, sprich: über sein psychisches und physisches Ungleichgewicht gab, das speziell für jeden Kurteilnehmer hergestellte Essen, die individuelle Medizin und schließlich die Fülle von öltriefenden Massagen und Anwendungen von Kopf bis Fuß, waren fremdartig, aber faszinierend und taten gut. Und die Gründlichkeit aller dieser Maßnahmen sowie die schiere Zeit, die sich der Arzt für einen nahm – jeden Tag gab es einen Rückmeldetermin mit Blutdruckmessung und einem kurzen Gespräch – überzeugten.
Der tägliche Konsultationstermin gehört lange der Vergangenheit an, es gibt nur noch einen Anfangs- und Enduntersuchungstermin. Allerdings kann man noch jederzeit den Arzt aufsuchen, wenn es einem nicht gut geht. Bei meiner letzten Ayurvedakur im Februar 2016 ließ mich der Arzt
wissen, daß ich ja alle Diagnosen ohnehin kennen würde und er sich entsprechende Untersuchungen sparen könne. So krass war mir die Veränderung im Arztverhalten bis dahin nicht untergekommen.
Oberflächlichkeit statt Gründlichkeit hat sich in den letzten zehn Jahren zunehmend eingeschlichen. Ärzte, die Wissen mit Engagement und Sorgfalt verbinden sind selten geworden. Inzwischen sind viele Ayurvedamediziner dem Ruf des Geldes gefolgt und praktizieren in großen Hotels an der Küste Sri Lankas, wo sie gut bezahlt werden. Die kleinen Resorts geraten dadurch ins Hintertreffen. Viele Ärzte haben sich auch nach Europa abgesetzt, was ihnen angesichts der lächerlichen Löhne in Sri Lanka und Indien finanzielle Möglichkeiten eröffnet, von denen sie vorher nicht zu träumen wagten. Kommt hinzu, daß ein dunkelhäutiger Ayurvedaarzt inmitten eines sonst europäischen Teams hoch willkommen ist und dem deutschen Hotel Authentizität verleiht.
Die Qualität der einheimischen Ärzteschaft in Sri Lanka und Kerala/ Indien nimmt kontinuierlich ab. Einmal nach sechsjähriger Ausbildung in die Wirklichkeit entlassen gibt es keine staatliche Qualitätskontrolle mehr. Nicht selten verdienen die Ärzte sich ein Zubrot, die früher so strikten Panchakarmakuren sind verhandelbar geworden. Was der Tourist nicht mag, kann er jederzeit absagen. Damit schwindet das Ansehen der Ärzte.
Vor 35 Jahren, als der Ayurvedatourismus noch in den Kinderschuhen steckte, waren Hotels, die Ayurveda anboten, in der Regel eher klein, manchmal primitiv und nicht selten schmuddelig. Generell war man noch nicht auf europäische Standards eingestellt. Heute ist das anders.
Es gibt wunderbare Hotels jedweder Preisklasse für jeden Anspruch. Aber Hunderttausende von Touristen, vor allem Deutsche, überschwemmen Sri Lanka. Die Insel ist fest in den Händen eines extremen Billigtourismus. Versuche von einigen internationalen Reisebüros, nach dem Tsunami 2004 und seinen Zerstörungen, dies zu ändern, sind fehlgeschlagen. Gute Architektur, und sei sie auch von Sri Lankas bestem Architekten, Geoffrey Bawa, vermag den Billigtourismus nicht zu stoppen.
Am ayurvedischen Essen gibt es wenig auszusetzen. Enthusiasten von Curries könnten ständig davon leben und zelebrieren die Mahlzeiten. Nach wie vor gilt striktes Alkoholverbot, und das Essen wird entsprechend den Doshas Pita, Vatta und Kapha gekocht und jedem individuell zugeteilt. Aber während früher der Arzt die Essenszuteilung als Teil der Medikation überwachte, gibt es heute keine Kontrolle mehr. Das Laisser-faire ist so locker geworden, daß sich viele Touristen am Büfett mit dem bedienen, was ihnen schmeckt, und nicht mit dem, was für sie diagnostiziert wurde.
Auch die ayurvedischen Abhandlungen von der Fußmassage bis zu den vielfältigen Massagen mit warmem Öl sind kaum zu kritisieren. Für den, der sich auf sie einlassen kann, sind sie der Himmel auf Erden. Sie sind gründlich, effektiv und verlangen nach mehr. Natürlich gibt es gute und schlechtere Masseure, aber im großen Ganzen beherrschen sie ihren Beruf meisterhaft.
Ein veritables Problem ist die ayurvedische Medizin, die grundsätzlich nichts für zarte Gemüter war und ist. Sie enthält tierische, pflanzliche und andere Bestandteile und schmeckt einfach schlecht. Kein Coating macht sie für europäische Kehlen wirklich erträglich. Wer unter leichtem Brechreiz leidet, bekommt sie nicht hinunter.
Vor über 30 Jahren wurde die Medizin noch weitgehend per Hand hergestellt. Apotheker, in der ayurvedischen Tradition ausgebildet, stammten meist aus alten Familien, wo das Wissen von einer Generation zu anderen weitergegeben wurde. Diese Heiler stiegen zur richtigen Zeit der Nacht oder der Dämmerung in die Berge und Wälder, und ernteten, was sie brauchten. Jeden Tag oder jeden zweiten Tag wurden die Kräuter frisch geerntet und dann verarbeitet. Das ist lange vorbei. Heute werden die Ingredienzien der ayurvedischen Medizin im Grossen angepflanzt oder importiert. Sie sind in vielen Fällen mit Pestiziden und anderen Giften verunreinigt, eine staatliche Reinheitskontrolle gibt es nicht. Im letzten Jahr wurden in Sri Lanka die Todesfälle zweier Ehepaare durch ayurvedische Medizin gemeldet, kein Einzelfall. Die zweimalige Untersuchung in einem deutschen Labor von aus Sri Lanka mitgebrachter Medizin hatte katastrophale Ergebnisse.
All dies hat zu einer tiefen Unlust an der Fortsetzung der Ayurvedakuren geführt. Deshalb ist jetzt Schluß. Eine 30.wird es wohl nicht mehr geben.