Ohne Zweifel sind Architekten vielseitig begabt. Sie entwerfen Mode und Autos oder wie Richard Meier sogar den neuen Typ eines Flügels für die Firma Ibach. Dieser scheint auf Grund seiner Proportionen und Dimensionen nicht nur im Raum zu schweben, sondern Musiker attestieren ihm auch besondere klangliche Qualitäten. Hier wurde ganz offensichtlich nicht nur eine gute Form gefunden, sondern auch ein Fortschritt in Sachen Musik erzielt.
Am kreativsten aber sind Architekten zweifellos bei Entwürfen für Möbel. Die Bezeichnung "Architektenentwurf" denn auch gilt als besonderes Qualitätsmerkmal mit hohem ästhetischen Mehrwert, allerdings auch zu einem meist beachtlichen Preis. Die Gründe hierfür sind längere Entwurfsarbeit und meist kleine Auflagen.
Um neue Möbel und ganz besonders um Stühle begannen sich Architekten zwar schon um 1900 zu kümmern, denn in die neuen Jugendstilhäuser paßte traditionelles Mobiliar nicht hinein, ohne die Innenräume kaputt zu machen. Richard Riemerschmid entwarf neben zahlreichen Bauten auch jede Menge ebenso schöne wie sparsame Möbel für die Wiener Werkstätten bzw. für die Anfang des 2oJahrhunderts gegründeten Deutschen Werkstätten in Hellerau bei Dresden.
Vor allem aber in den 2oiger Jahren gab der Möbelmarkt für die neuen funktionalen Häuser nichts Passendes her; moderne Architekten suchten, aber fanden keine zeitgemässen Möbel für ihre radikal-sachlichen Behausungen und sahen sich gezwungen, eigene Entwürfe herzustellen. Sie dürften dies gern auf sich genommen haben.
Hatte Karl Friedrich Schinkel Mitte des 19. Jahrhunderts schon einige für seine Zeit recht moderne Stühle und Lampen entworfen, so wurde die Gestaltung von Möbeln – mit einer Häufung von Stuhlentwürfen - nach 1920 geradezu eine Obsession von Architekten und führte zu einer beachtlichen Ausweitung ihres Berufsbildes.
Meist waren diese Enwürfe zunächst für eigene Häuser gedacht, ehe die Industrie zugriff und sich die Rechte auch für eine größere Auflage und Öffentlichkeit sicherte, auch wenn dadurch die Kontrolle des richtigen Möbels in dem vom Architekten selbst gestalteten Innenraum nicht mehr strikt gewährleistet war.
Der Barcelona Chair, den Mies van der Rohe für den Barcelonapavillon auf der Weltausstellung 1929 entwarf, ist bis heute einer der bekanntesten Stühle dieser Zeit, fand seine Verbreitung jedoch vor allem bei repräsentativen Verwaltungsbauten nach dem 2.Weltkrieg.
Übrigens gilt dies auch für viele Architektenentwürfe am Bauhaus, deren Verbreitung bzw. auch Massenproduktion wie z. B. bei den Stahlrohrmöbeln erst in den letzten vierzig Jahren erfolgte. Ein verspäteter Erfolg also.
Noch bekannter als der Barcelonachair und als Zeugnis seiner Zeit ungleich mutiger ist der rot-blaue Lehnstuhl von Gerrit Rietfeld.
Dieser radikale Entwurf ging 1923 in Produktion, wobei der Stuhl nie einer Dogmatik der Form folgte und mehr Konzept als Produkt blieb, denn Rietfeld änderte die Maße und das Material für diesen Stuhl ständig. Der Stuhl folgt keinem Modulsystem, wie immer wieder behauptet wird. Er ist stärker als andere Entwürfe jener Zeit Kunstwerk und Gebrauchsgegenstand in einem und demonstriert eine architektonische Vision idealer Gestaltung der Umwelt. Diese findet in der gestalterischen Einheit mit dem Schröderhaus, das Rietfeld 1924 in Utrecht baute, ihren überzeugendsten Ausdruck.
Aus den Architekten der 2oiger Jahre und der Zeit danach fällt der Architekt Bruno Paul heraus, der in seinem Typenmöbelprogramm eine dezente Moderne mit Klassizismus verband, ein Rückgriff, den sich wenige andere Architekten erlaubten.
In erster Linie dürfte eine Vorstellung von Gesamtkunstwerk der Grund für die zahllosen Möbel- und Stuhlentwürfe von Architekten im 2o.Jahrhundert sein, weiter auch sicher eine gewisse Eitelkeit, die dazu führt, daß bis heute jeder einigermassen bekannte Architekt sich der Aufforderung der Industrie nicht verschließt, doch noch ein neues Sitzmöbel zu entwerfen. Übrigens sind Frauen dabei in der Minderheit; Möbel werden weltweit immer noch von Männern entworfen, die Ausnahme ist, wie nicht anders zu erwarten war, Zaha Hadid.
Mitte des 2o.Jahrhunderts etablierte sich das Produktdesign als eigenes Metier und wuchs sich zu einer Konkurrenz für Architekten aus. Seither stellen sich verstärkt Fragen nach einer Abgrenzung der beiden Berufe. Entwirft eine Architekt wirklich anders als ein Designer? Und was bitte ist das Typische eines Architektenentwurfes? Ganz eindeutig sind diese Fragen kaum zu beantworten.
Es gibt wunderschöne Möbel-, Stuhl- und Sesselentwürfe von Architekten, skulpturale, futuristische, funktionale, sachliche und technische. Es gibt sie in weichen, fließenden Formen wie bei und von Alvar Aalto oder Arne Jacobsen, es gibt solche, die an technische oder Insektenzusammenhänge erinnern wie Norman Fosters "nomos" Design von 1986. In den meisten Fälle folgen die Entwürfe einem grundsätzlichen Anspruch, wie ihn Rietfeld formulierte: " Man kann nicht über rationales Design sprechen, ohne die Frage nach dem akzeptierten Gebrauch zu stellen".
Aber es gibt auch Entwürfe von Stühlen und Sesseln, an deren strukturelle Gewalt sich der Rücken und die Wirbelsäule noch nach Jahren schmerzvoll erinnern. Der eigene Körper vergießt solche Erfahrung nie. Wer je länger und häufiger in den geraden und starren, aber grafisch und ästhetisch ansprechenden Sesseln von Oswald Mathias Ungers im Deutschen Architekturmuseum gesessen hat, der meidet sie, wenn und wo möglich. Diese unbequemen Sitzgelegenheiten kann man nicht anders als einen Versuch des Architekten ansehen, eine Kontrolle über den menschlichen Körper und seine Haltung im Raum zu garantieren – ein unliebenswürdiger Akt. Er versucht, den Sitzenden vergessen zu machen, dass es so viele Stuhltypen wie Menschentypen gibt.
Ingeborg Flagge