Architektur ist ein Dialog mit der eigenen Zeit und immer ihr Ausdruck. Kein Architekt baut unabhängig vom Geist einer Zeit, was bedeutet, dass er in den Aufträgen seiner Bauherren das spiegelt, was in einer Gesellschaft und ihrer Zeit angelegt ist. Dadurch ist Architektur Gesellschaftskritik.
Wenn aber Architektur den Stand einer Gesellschaft, ihrer Errungenschaften und Niederlagen, ihrer Ambitionen und ihrer Versäumnisse spiegelt, dann darf man ein Museum der Architektur getrost als Bühne bezeichnen, auf der das Drama oder die Komödie von Architektur und Gesellschaft spielt. Egal ob solche Bühne über ein eigenes gutes oder weniger gutes Ensemble verfügt, egal ob ein Intendant am liebsten mit den angestellten Kräften oder mit freien arbeitet, egal ob der Stolz des Direktors auf eigene Produktionen setzt oder aber aus unterschiedlichen Gründen Inszenierungen von anderswo übernommen werden, der Spielplan verrät Vorlieben oder Engpässe jeder Art.
Jeder Intendant wäre gern ein Weltverbesserer, wenn man ihn ließe, wenn er das Geld für die Stücke seiner Wahl hätte, wenn die Mitarbeiter stimmten und die Zuschauerzahlen. Er brächte gern Stücke auf die Bühne, die die Welt noch nicht gesehen hat, die Zuschauer nicht nur begeistern, sondern verändern. Aber so wie die Architekturkritik immer ein Nachruf ist, eine Vollzugsmeldung, und immer zu spät kommt, um an der gebauten Wirklichkeit noch etwas zu ändern, so sind auch die Inszenierungen, sprich die Architekturausstellungen im Museum meist nur bloßes Abbild und Darstellung von gesellschaftlichen Gegebenheiten, häufig durchschnittlich, eventuell prächtig aufgemacht, selten aber visionär, aufwühlend oder kritisch hinterfragend.
Kritik ist die Kunst der Beurteilung in Form von Distanzierung, Negierung oder Infragestellung. Kritik und die Fähigkeit dazu sind konstruktiv für jede Demokratie Aber wo findet man Ausstellungen, die die Gesellschaft und ihre gebauten Erzeugnisse nicht nur abbilden, sondern hinterfragen? Wo in den letzten Jahren hätte es eine Architekturausstellung gegeben vergleichbar dem Film von Al Gore „Eine unbequeme Wahrheit“, so unbarmherzig ehrlich und niederschmetternd, aber für die Zukunft unverzichtbar.
Im Museum gibt es die Kritik von gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und kulturelle Zuständen nicht, bestenfalls die Förderung einer Architekturrichtung oder eines Architekten, der dem Direktor lieb ist. Unsere schnelle Gesellschaft will zudem vorgefertigte Plus-Minus-Urteile und keine komplexen Analysen, deren Verstehen viel Zeit und persönliche Mühe machen. Inszenierungen im Museum haben heute wie die geschriebene Architekturkritik selten Biß und sind oft nur brav. In den 7oiger Jahren war Architekturkritik noch eine Information über Macher und Nutzer, über Täter und Opfer, Architekturkritiker waren Missionare, Sozialkämpfer, Streiter für soziale Baukunst und eine menschliche Stadt- Themen, die viele heute gähnen machen. Architekturkritik heute kennt kaum noch soziales Engagement und ist oft nicht anderes als ein ästhetischer Diskurs von zweifelhaftem Wert.
Wo hat es in den letzten Jahren eine Architekturausstellung wie „Profitopolis“ von Josef Lehmbruck in den 7oiger gegeben? Eine brisante Ausstellung durchaus mit Showcharakter, aber unbequem und aufrüttelnd, die Städte als Lebensraum für Menschen forderte und alle diejenigen leidenschaftlich angriff, Architekten, Verwaltung, Investoren u.,a , deren Ziel das eben nicht war. „Die Gesellschaft heute hat keine Visionen mehr, Utopien oder langfristige Seinsentwürfe, höchstens Visönchen, die – kaum geäußert – ihren Geltungsanspruch schon wieder verloren haben und neuen Utopiechen weichen“ (Christian Schüle, Bestandsaufnahmen und Visionen des Kulturpolitischen, Sendung und Manuskript HR).
Was rührt uns heute noch, was erschüttert uns? Maßstäbe scheinen suspendiert, alles ist erlaubt, nichts wird mehr ernst genommen. Was uns heute mitnimmt, ist morgen Schnee von gestern. Die Gesellschaft „scheint müde geworden, erschöpft und desillusioniert, paralysiert durch die Gefahr bröckelnden Wohlstandes“ (Schüle) Das erste Opfer einer solchen Epoche ist gewöhnlich die geistige und ästhetische Auseinandersetzung mit der Gesellschaft selbst. Daran leiden heute das Theater, die Oper, die Universität, das Museum und vieles mehr.
Was heute interessiert, sind Ungewöhnliches und Sensationen. In den Feuilletons der Tageszeitungen werden der 4oo m hohe Turm der Gazprom gefeiert, der die Petersburger Altstadt kaputt macht, würde er gebaut oder andere spektakuläre Spitzenleistungen, die einem den Atem rauben. Genau solche extraordinären Bauten interessieren auch die Museen. Aber das Leise, das Poetische, das Kleine, das Triviale, das Hässliche und das ganz Normale finden selten Schreiber, Leser, Zuschauer und Besucher. Zudem treibt die Architekturkritik einen Personenkult und das Museum auch. Der Star interessiert, der ganz normale Architekt nicht. Der Star bringt die höchsten Besucherquoten in ein Museum oder eine Ausstellung. Doch wird er nicht kritisch hinterfragt, sondern meist in den höchsten Tönen gelobt. Nicht weil er unbedingt gut ist, sondern weil er ein bekannter Star ist, der Schlagzeilen macht. Aber gut und bekannt sind ja nicht unbedingt identisch.
„Architektur ist ein Kampfplatz des Geistes“, meinte Mies van der Rohe 195o. Aber die Museen sind kaum in der Lage, diesen Kampf, der Architektur bis heute ist, zu analysieren, zu erklären, auszustellen. Dazu fehlt das Geld, die Zeit, das Personal und das Interesse der Besucher, die wegbleiben, wenn eine Ausstellung nicht wie ein Krimi aufbereitet und wie eine Show erlebt werden kann.
Unsere Gesellschaft hat keine Zeit mehr und keine Geduld. Sie will alles sofort und auf nichts warten müssen. Insofern ist es auch nur konsequent, dass in den letzten Jahren die Zeit, die ein Besucher im Museum verbringt, immer kürzer geworden ist. Zwar steigt die Besucherzahl von Museen weiter, aber die durchschnittliche „Verweildauer“, wie dies so schön heißt, betrug vor ca. sechs Jahren im Deutschen Architekturmuseum Frankfurt (DAM) noch 45 Minuten. Da meist gleichzeitig drei Ausstellungen angeboten wurden, kann man sich ausrechnen, wie viel Zeit für jede blieb. Der Besucher, der ein zweites Mal kommt, um das anzuschauen, was er beim ersten Besuch nicht geschafft hat, ist die absolute Ausnahme.
Da Wissen und Bildung bei der heutigen Generation nicht mehr vorausgesetzt werden können, muß in einer Ausstellung alles mundgerecht aufbereitet werden; längere Texte sind verpönt und werden nicht gelesen, Filme fast nie zu Ende angeschaut, Pläne als zu anstrengend nur zur Kenntnis genommen und nicht studiert, bleiben schöne Fotos und Modelle. Aber die schildern und bilden einen Endzustand der Architektur ab und verraten nichts oder wenig über das Entstehen eines Baus oder einer Stadt, über die Schwierigkeiten und über die vielen unterschiedlichen bis widersprüchlichen Interessen von Beteiligten an diesem Prozeß. Da hilft es ungemein, wenn man die Gelegenheit zu einer Ausstellung mit einem Star hat.
Stars sind die Exoten unserer voyeuristischen Zeit, vergleichbar Weltrekordlern, Filmschauspielern, Popstars oder Kosmonauten. Was das Publikum an Architekenrstars so liebt, sind ihre aussergewöhnlichen Bauten, Hochhäuser, Brücken, Museen, Flughäfen. Wer die Guggenheimausstellungen über Architektur besucht hat, findet dort fast nur Ungebautes in Aufsehen erregenden Formen, an dramatischen Standorten, aus phantastischen Materialien , Traumarchitektur eben, aber nicht unbedingt traumhaft gut, sondern irreal abgehoben. Es geht ja schließlich darum, den am Franchise-Produkt Guggenheim interessierten Städten Lust auf neue Museen und Ausstellungen zu machen, und das gelingt nicht mit brauchbaren, sondern nur mit exaltierten Entwürfen.
Herausragende Architekturlösungen liegen heute fast immer auf der Linie der Weltwunder. Publikum und Medien suchen den Reiz des Einmaligen und Phantastischen. Zwar ist die Attraktion der Pyramiden noch unerreicht, aber auch ein luxuriöses Hotel oder ein phallusähnliches Hochhaus wie in Barcelona oder London sind heute das Ziel von Besucherströmen an Tagen der offenen Architektur.
Doch nicht die Ausstellung im Museum macht einen Architekten zum Star. Das besorgen die Medien. Kein noch so guter Architekt, der sich selbst für einen shooting Star hält, gewinnt ohne die Medien öffentliches Prestige. Nur Lobeshymnen in Zeitungen können das bewirken. Und in ihrem Gefolge dann vielleicht auch Ausstellungen. Ein Star füllt – fast immer – ein Museum, lässt die Kassen klingeln, erfreut das Herz jedes Stadtoberhauptes, das dann aber im nächsten Jahr die erwünschte Besucherquote anhebt, als gäben sich die Stars im Museum die Klinke in die Hand und als gäbe es kein Ende der Besucherströme. Die Ausstellung über einen Star setzt einen Direktor nicht selten so unter Druck, daß er sich manchmal wünscht, er hätte sie unterlassen.
Der Star macht den Event aus, den die Politiker so gern im Museum inszeniert sehen und der das Publikum anzieht. Event – das ist die tolle Nummer, die Show auf kurze Zeit, ein Treff für bedeutende Leute. Der Event macht auch den Durchschnittsbesucher für die kurze Zeit der Vernissage zu etwas Besonderem. Ein Event wird gefeiert, ein Bemühen um intellektuelles Verständnis und Interesse zu erwarten, ist dabei fehl am Platze. Denn angeboten wird gewöhnlich leichte Kost und schnell Verdauliches. Aber der ständige Event läuft auf die Total-Boulevardisierug des Museums hinaus. Wollen wir das? Gibt es eine Möglichkeit, diese Entwicklung aufzuhalten, ohne zu schließen? Nicht jedes Museum kann schließlich seine Ideen und Schätze wie in einem Supermarkt inszenieren. Der Event hat seine Grenzen.
Wenn die wirkliche Aufgabe des Museums aber nicht die Darstellung des Stararchitekten ist, sondern das Aufspüren und die Erklärung von Baukunst und deren Ausstellung, dann tut sich die Frage auf, was man darunter zu verstehen hat.
Gegenüber einer nach Höchstleistungen und Auffälligkeit strebenden Architektur und dem unentwegt nachgefragten Extravaganten und Neuen fallen das gute Normale und das bescheiden Richtige zunehmend hintenüber, was die öffentliche Aufmerksamkeit und die Behandlung im Museum angeht. Baukunst – was ist das? Ohne sie auch nur annähernd ganz erklären zu können, scheint mir Baukunst eher leise als schrill, eher zurückhaltend als spektakulär, eher auf den zweiten Blick aufregend als auf den ersten aufreizend, eher nachhaltig als kurzfristiges Feuerwerk. Ohne eindeutige Architekturqualität kann es keine Baukunst geben.
Baukunst muß nicht populär sein wie die Architektur eines Stars. Die von Helmut Striffler im ehemaligen KZ Dachau errichtete Kirche aus Beton, ein spröder Bau, einem Mahnmal gleich, der sich mit einem langen Gang in die Erde windet, um dort in einer kleinen Kapelle zu enden, ist unter Jüngeren kaum noch bekannt. Und dennoch ist diese Kirche einer der wichtigsten Bauten der deutschen Nachkriegszeit, intensiv und unbequem, in allem das Gegenteil von einem anderen Stück Baukunst, das der Welt sofort einleuchtete, als es fertig war: der olympischen Zeltarchitektur in München von Günter Behnisch. Sie ging 1972 als Symbol eines anderen Deutschlands um die Welt, sie war ein Zeichen heiterer Spiele, ein Zeichen für einen deutschen Neuanfang, wo alle Welt noch den Stechschritt der Nazis im Ohr und ihre monumentale Architektur vor Augen hatte. Die leichten und schwingenden Zelte waren sofort und allen verständliche Baukunst.
Doch ein so direktes Verstehen von Architektur ist die Ausnahme. An die meisten Bauten und vor allem an die knappe Architektur der Nachkriegszeit müssen heute selbst Architekturstudenten mit viel Hintergrundinformationen herangeführt werden. Baukunst – das sind nicht nur die vom weltweiten Kulturverständnis geadelten griechischen Tempel, ägyptischen Pyramiden und sonstige von der Unesco zu Denkmälern erhobenen Bauten, sondern auch vergessene Schätze der Architektur, die es wert sind, wieder ins allgemeine Bewußtsein gehoben zu werden. Auch unbekannte Architektur kann schließlich Maßstäbe setzen, sie muß nur wieder entdeckt und erklärt werden. Wer kann das besser als ein Architekturmuseum?
Baukunst also eine Frage für Eingeweihte, mühselig zu verstehen und erklärungsbedürftig? Ja und nein. Ja, wenn es gilt, die verbalen Kriterien und Erklärungen für gute Architektur nachzuvollziehen. Das ist ohne gute und geduldige Vermittler kaum machbar, wobei die Architekten selbst dafür kaum infrage kommen. Nein, wenn der Mensch mit anderen Sinnen als dem Verstand Baukunst selbst erfassen kann, als Grundriß, in dem er sich gut zurechtfindet, als Bau, in dem er sich instinktiv wohl fühlt, als Haus, das ihn nicht klein macht, als Raum, der ihn anrührt, als Atmosphäre, die ihn anspricht. Auch wer Gottfried Böhms Vorliebe für Beton nicht teilt, wer die kristalline Architektur seiner Kirche in Neviges für ortsbildzerstörend hält, wer große Teile dieses Wallfahrtsensembles für modisch ansieht, wer moderne Architektur überhaupt nicht mag – der steht berührt, überwältigt und erschüttert in diesem großartigen Kirchenraum, der seinesgleichen sucht und auch einem Nichtgläubigen Gott näher bringen kann.
Baukunst füllt leider kein Museum. Bei vier bis fünf großen Ausstellungen pro Jahr könnte man ein wirklich volles Haus nur dann haben, wenn z.B. auf eine Tadao Ando Ausstellung eine über Herzog und de Meuron folgen würde, dann eine über Palladio und Peter Zumthor. Schon eine Ausstellung über den bei Jüngeren kaum noch bekannten Gottfried Semper (1803 – 1879) könnte ein Risiko sein. Aber eine solche Anzahl von Stars-Highlights kann sich kein Museum leisten, wenn die Architekten selbst nicht die Ausstellung bezahlen, was guter Stil verbietet und dennoch verbreitet ist. Weder kann ein Museum die Erarbeitung solcher Ausstellungen und deren Kataloge noch ihre Übernahme von anderer Stelle zahlen.. Wo eine Zaha Hadid nicht unter 1o.ooo E für einen Vortrag zu haben ist, da kostet das Ausleihen guter Ausstellungen über bekannte Architekten leicht 3oo.ooo E. Die eigene Bearbeitung und die Herausgabe eines eigenen Kataloges durch ein Museums selbst liegen noch wesentlich höher.
Ein Besucher im Museum soll sich informieren, aber auch staunen und sich freuen können. Er muß nicht in heiligem Schauer vor den Exponaten stehen, er muß auch nicht unbedingt in allen Einzelheiten begreifen, warum eine Architektur herausragend ist. Die Erklärungen dafür ist manchmal einfach zu schwierig, vor allem wenn technische Informationen notwendig sind. Eine Hightechfassade als Ausstellungsstück, die sich nach dem Vorbild der menschlichen Haut ausdehnt bei Wärme und bei Kälte zusammenzieht, ist zwar bemerkenswert, hat aber einfach nicht die sinnliche Ausstrahlung der Spanischen Treppe in Rom, die Präsens der neuen Moschee von Peter Böhm in Köln oder das Geheimnis der Bruder Klaus Kapelle von Zumthor in der Eifel.
Baukunst. Wo sie leise und zurückhaltend ist, wo sie vielleicht noch nicht breit bekannt ist, findet wenige Besucher. Die große Zahl kommt nur bei Sensationen. Sie aber steuert das Geld, das die Sponsoren geben und das die spärlichen Mittel einer Stadt fliessen lässt. Wenige Besucher sind der Tod jedes Museums und das Aus für alle finanziellen Zuwendungen. Wer aber von Sponsoren unabhängig ist und sichere Geldquellen hat – solche Fälle soll es geben, obwohl ich keine kenne- der ist auch von Besucherzahlen unabhängig und kann sich den Traum erfüllen, kleine und feine Ausstellungen zu machen, den baukünstlerischen Newcomer aufzuspüren und mit kritischen Ausstellungen daran mitzuwirken, was später auf breiter Front Baukunst genannt wird, So möchte – glaube ich - jeder Museumsdirektor arbeiten, kaum einer kann es.
Sponsoren, die Hoffnung aller Museumsdirektoren, sind in Deutschland ein rares Gut. Und sie vermehren sich auch nicht in dem Maße, wie es die Politiker leichtsinnig beschwören. Auch sie haben inzwischen weniger Geld als vor zehn Jahren, und konzentrieren sich zunehmend weg von der Architektur auf die Förderung von Sport und sozialen Projekten. Einfluß auf die Inhalte von Ausstellungen – noch vor Jahren die größte Angst aller Direktoren – nehmen Sponsoren selten. Aber sie lieben und wollen natürlich für ihr Geld den großen Auftritt und eine wirkungsvolle PR, was verständlich ist.
Aber nicht jedes Thema, das eine Ausstellung wert ist, garantiert Auftritte à la MOMA oder Guggenheim. Seit auch die überregionalen Tageszeitungen Deutschlands unter wirtschaftlichen Druck geraten und dünn geworden sind und die neuen Medien eine harte Konkurrenz bilden, seit man freiberufliche Mitarbeiter nicht mehr bezahlen kann, seit auch grundsätzliche Artikel an Kürze kaum zu überbieten sind, seit Architekturkritiker in den Redaktionen auch andere Tätigkeiten als Schreiben wahrnehmen müssen, ist selbst die Berichterstattung über wichtige Ausstellungen nicht mehr gewährleistet. Die große Medienresonanz auf eine Ausstellung bleibt also vielfach ein Wunschtraum. Wo aber Sponsoren weder hohe Besucherzahlen erhalten noch eine großartige Erwähnung in der Presse, da erlischt auch der Enthusiasmus eines Förderers schnell.
Deutschland ist weltweit das Land mit den meisten Museen. Und es entstehen immer neue, wenn auch zunehmend von privaten Sammlern. Der Staat mag einen Museumsbau noch zahlen, aber dann geht er weitgehend von einem Nullsummenspiel aus. Folgekosten möchte er am liebsten nicht tragen, im übrigen soll ein Direktor doch bitte Gelder für die Ausstellungen auf dem freien Markt besorgen. Und auch für die Bibliothek, die Sammlung, das pädagogische Programm. Da werden geeignete Direktoren in einer internationalen Ausschreibung gesucht, aber mit anspruchsvollen Inhalten sind sie kaum noch beschäftigt, nur mit Geldbesorgen. Fast jeder Museumsdirektor lässt sich darauf ein, denn jeder Museumsdirektor hat etwas von einem Masochisten.
So ein Direktor sieht sich dann bei Amtsantritt damit konfrontiert, dass alle Anderen am Museum fest angestellt sind, er aber einen Fünfjahresvertrag hat. Neue Stellen werden ihm nicht genehmigt, frei werdende nicht besetzt. Die im Museum tätigen Personen dürfen nicht entlassen und durch fähigere ersetzt werden,. Wenn das Geld für freie Mitarbeiter, die aufgrund ihrer Qualität und ihres Renommes verpflichtet werden, nicht reicht und man auf eigene Angestellte zurückgreifen muß, bedeutet dies häufig weniger gute Ausstellungen mit allen damit verbundenen Konsequenzen. Ein circulus vitiosus. Trotz des enormen Erfolges mancher Museen ist deren Alltagsbetrieb aber kaum noch gewährleistet. „Längst ist kein normaler Museumsbetrieb mehr möglich, wir hecheln durch den Alltag,“ schrieb vor Jahren bereits Martin Roth, der Generaldirektor der Staatlichen Kunstsammlungen in Dresden, und das nach der damals gerade erfolgten spektakulären Eröffnung des Grünen Gewölbes. Einzigartige Sammlungen können nicht mehr ergänzt werden,.
Geld für Ankäufe haben die wenigsten Museen noch. Der Erwerb des Oeuvres von Gottfried Böhm vor ca. zehn Jahren durch das DAM war nur möglich, weil er ein weltbekannter, mit dem Pritzkerpreis ausgezeichneter Architekt war, weil seine Zeichnungen wie Kunst wirken und etliche Stiftungen ihn kannten und deshalb Geld flüssig machten. Heute dürfte das mehr als schwierig sein.
Für die Nachlässe ähnlich guter, aber unbekannterer Architekten gibt es kein Geld mehr. Deren Witwen oder Kinder aber wollen keine Schenkungen ohne geldliche Zuwendungen machen, weil sie nicht von dem Glauben ablassen, dass das Ouevre ihres verstorbenen Vaters oder Mannes jedes Jahr wertvoller werde. Dabei nimmt die Halbwertzeit des Wissens auch in der Architektur dramatisch ab. Viele Studenten kennen heute einen Heinz Bienefeld, einen Hans Busso von Busse oder einen Karljosef Schattner aus Eichstätt nicht mehr. Gerade um solche guten Architekten aber müssten sich die Museen kümmern, doch die sich verschlechternden Bedingungen nehmen ihnen die Luft und die Lust dazu.Und eine neue Götterdämmerung wohlwollender Sponsoren steht auch nicht bevor. Kultur hat keine Selbstheilungskräfte. Sie kann nicht wie ein Lichtschalter beliebig an- und ausgeknipst werden. Man kann sie nicht jahrelang abschaffen und dann hoffen, sie wieder aufleben zu lassen, wenn man sie braucht.
Architekturausstellungen aus dem eigenen Bestand zu machen, ist da auch nur begrenzt eine Lösung. Erstens ruhen dort meist nicht die attraktiven Themen, die dann die großen Besucherströme garantieren, zweitens kostet auch diese Arbeit Geld und Zeit. Laut Martin Roth fallen Sammlungen als „Kompetenzzentren“ zunehmend aus., Wo Restauratoren entlassen und nicht ersetzt werden, da kann man die Gegenstände eines Archivs auch nicht ausstellen. So gehen Wissen und große Teile der traditionellen Arbeit eines Museums verloren und damit Grundlagen der gegenwärtigen Architektur.
Politiker sind in dieser Hinsicht taub bzw. sie leugnen gebetsmühlenartig die vorhandenen Probleme. Frankfurts OB Petra Roth sagte bei meinem Abgang in Frankfurt: „Ich habe das DAM immer im Aufwind gesehen“ und meinte, das Haus sei eine erfolgreiche Bühne der Bürgergesellschaft geworden. Eine Bemerkung, die sie leicht abgewandelt auch beim Stadtmarathon und dem Hochhausfestival gemacht hat. Was einmal mehr bestätigt, dass „Kultur und Politik nicht die gleiche Sprache sprechen“, wie Martin Roth meint.
Kulturpolitik war und ist immer noch eine Frage von Persönlichkeiten, von Ideen, Mut, Risikobereitschaft. Es ist eine Frage der Neugierde, der Aufgeschlossenheit und ständiger Suche. Kultur funktioniert nur bei ständiger Bemühung und Entwicklung und will jeden Tag neu erarbeitet werden. Sie braucht Reibung, Diskussionen und Auseinandersetzung. Wo ist dergleichen in unserem heutigen Kulturbetrieb anzutreffen, wo es fast nur noch um Geld geht.
Kulturpolitik ist heute Finanzpolitik. Mehr denn je unterliegt Kultur heute den Gesetzen des Marktes. Ästhetische Erziehung, Bildung und Museumsarbeit müssen sich heute rechnen. Das Museum als Umschlagsplatz von Ideen und als Ort grundsätzlicher Diskussionen hat ausgespielt. Daraus zog Christian Schüle in einem Beitrag über Kulturpolitik schon vor Jahren seine Schlüsse: „Aus Mittelmaß schöpft sich Mittelmaß. Große Geister lassen sich nicht im Selbstentwertungsprozeß der Politik verschleißen. Wie soll denn eine bildlose, bildüberflutete, ratlos verängstigte Gesellschaft Visionäre hervorbringen?
Haben wir ein wenig Mitleid. Es geht den Kulturreferenten und –senatoren nicht anders als den Philosophen. Auch ihnen fehlt der Mut. Die einzigen, die noch das Maul aufmachen, sind die Kulturschaffenden selbst. Seid clever, Senatoren, gebt den Schreihälsen Geld und lasst sie machen. Sie sind das Beste, was wir vom Sein Erschöpften heute noch haben.“
Prof. Dr .Ingeborg Flagge war Direktorin des Deutschen Architekturmuseums in Frankfurt von 2ooo – 2oo6.